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Archiv-Artikel

Großstadt-Experte vor Wechsel nach Berlin

Stadt, Land, alles im Fluss: Im Landtagswahlkampf buhlen Parteien um 4 Millionen Großstadtwähler im Ruhrgebiet. SPD will mobilisieren, FDP das „Lebensgefühl“ treffen, während Großstadt-Offensive der CDU bereits eingeschlafen ist

RUHR taz ■ Der Großstadt-Experte der CDU ist auf dem Sprung in die Hauptstadt. Paul Nolte, Historiker und Berater von CDU-NRW-Chef Jürgen Rüttgers, wird nicht Mitglied in einem schwarzen Schattenkabinett für die Landtagswahl am 22. Mai werden, sondern einem Ruf an die Freie Universität Berlin folgen. Nolte wurde als Anwärter für ein CDU-Kompetenzteam gehandelt. „Es hat darüber Gespräche gegeben“, so Nolte gestern auf taz-Anfrage. Er „würde prinzipiell dafür zur Verfügung stehen“, tue es jedoch „aus persönlichen Gründen nicht“.

Aus „Rücksicht auf die Familie“ und wegen eines „wahrscheinlich bevorstehenden Wechsels“ nach Berlin, wolle er zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in die Politik gehen. Für die Zukunft schloss er einen „Quereinstieg“ jedoch nicht aus. Die FAZ bezeichnete den parteilosen Nolte einmal als „Ein-Mann-Think-Tank der Union“. Nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 hatte Rüttgers den Bremer Geschichtswissenschaftler in die CDU-Reformkommission „Große Städte“ geholt. Das Expertengremium berät seitdem über neue Strategien für die Konservativen. Die Christdemokraten hätten sich zu lange auf ihre Hochburgen im ländlich-katholischen Raum konzentriert, sagte Nolte im vergangenen Jahr und riet der Partei: „Die CDU müsste bei den Reformen radikaler sein.“

CDU-NRW-Chef Rüttgers scheint den bevorstehenden Abgang des City-Experten bereits abgehakt zu haben. Er macht auffällig oft Wahlkampf auf dem Land, zuletzt bei einer CDU-Tagung im münsterländischen Velen und bei einem Bauernkon-gress in Soest. Auch die Hinwendung zu eher urbanen Themen wie Verbraucherschutz und Bürgerrechte kommt in der CDU-Wahlkampfplattform nur noch am Rande vor. „Rüttgers hat wenig Chancen gerade in urbanen großstädtischen Milieus als Problemlöser zu erscheinen“, sagt der Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Die Programmatik der Union sei durchaus modernisiert, aber Rüttgers verkörpere in der Wahrnehmung der Bürger „nicht das Lebensgefühl heterogener Milieus der Städte“, so Korte. „Dennoch kann Rüttgers auch in den Großstädten die Wähler mobilisieren, die aus ökonomischer und weniger aus kultureller Wertigkeit neue Sicherheiten suchen – eben mit einer klaren wirtschaftspolitischen Zukunftsperspektive.“

Urbanes „Lebensgefühl“ wollen alle Parteien im beginnenden Landtagswahlkampf ansprechen. Besonders die vier Millionen Wahlberechtigten im Ruhrgebiet sollen aktiviert werden. „Wir müssen wieder mehr als drei Millionen Wähler mobilisieren“, kündigte SPD-Generalsekretär Michael Groschek eine Direkt-Kampagne „Straße für Straße, Haus für Haus“ an. Hoffnung macht den Sozialdemokraten das Wahlergebnis in Schleswig Holstein: Während Rot-Grün im hohen Norden auf dem Land verlor, konnte sich die Koalition in den Städten gut halten.

Mit einer modischen Internet-Kampagne kämpft die FDP gegen ihr angestaubtes Image in den Großstädten. Die Liberalen zielen mit der Reklame im Netz vor allem auf unter 35-jährige Großstädter, die bislang wesentlich häufiger grün als gelb wählen. „Die FDP war in den Großstädten nicht in der Lage, das Lebensgefühl zu treffen“, sagte der freidemokratische Generalsekretär Christian Lindner. Für Politikprofessor Korte ist die Landtagswahl und das Rennen um die Großstadtwähler im Rhein-Ruhrgebiet offen: „Dieser Ballungsraum ist absolut entscheidend, weil hier die meisten Wechsel- und Nichtwähler wohnen.“ MARTIN TEIGELER