Der Raketenmann

Deutschland tut sich schwer mit seinen Superhelden. Es gibt sie einfach nicht. Die Bremer Künstler Ralf Tekaat und Norbert Bauer wollen das ändern. Sie haben den deutschen Superhelden konstruiert

aus Bremen Daniel Wiese

Er zischt durch den Himmel über New York, er breitet den Mantel aus, er hat das Zeichen auf der Brust. Sein Name tut nichts zur Sache, nenn ihn Batman, nenn ihn Superman. Er ist der amerikanische Held, geboren aus fiebrigen Jungsträumen, ein kollektives Produkt aus Größenphantasien und Weltmachtwahn.

Einen deutschen Superhelden gibt es nicht, vielleicht kann es ihn auch nicht geben. Es gab Männer wie Lothar Sieber, der am 1. März 1945 die erste bemannte Rakete der Nazis flog (die taz berichtete am Dienstag). Sieber hat den Versuch nicht überlebt, und er wurde auch kein Held. Aus dem nationalen Bewusstsein ist er verschwunden.

„Wir haben uns gefragt, warum fliegen die Superhelden nur in Amerika?“, sagt Norbert Bauer. Er und Ralf Tekaat stehen in einem Atelier an der Weser in Bremen, die Wände vollgepflastert mit Zeichnungen, Fotos, Skizzen. Norbert Bauer und Ralf Tekaat haben sich auf die Suche nach dem deutschen Superhelden gemacht. Was sie gefunden haben, hängt an den Wänden des Ateliers.

Es ist eine Suche nach einem Unbekannten, der auf verschiedenen Fotos auftaucht wie ein Phantom. Er sitzt in der Ecke des Hörsaals, in dem Adorno an einem Pult steht und Vorlesung hält. Er steht als Leibwächter dabei, wenn sich Nachkriegspolitker wie Leonid Breschnjew und Helmut Schmidt die Hand geben. Beim Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft in Bern taucht er kurz im gegnerischen Tor auf. Und er findet sich wieder auf der Titelseite eines undatierten amerikanischen Comics: „Raketenmann. The mysterious living rocket from Germany“, steht auf dem Heft.

Und das ist die Geschichte dieses einzigen deutschen Superhelden: Von den Nazis in Peenemünde mit einer V2-Rakete auf eine stabile Umlaufbahn geschossen, musste er 1954 wegen der zahlreich auftretenden, überirdischen Wasserstoffbombentests notlanden. Seitdem ist er der Wiedergänger der deutschen Nachkriegsgeschichte. „Wie er in der Rakete überlebt hat, wissen wir nicht“, sagt Ralf Tekaat. Klar scheint jedoch zu sein, dass sich der Körper des Raketenmanns bei seinem Aufenthalt im Weltraum verändert hat. Nach Informationen von Tekaat und Bauer besitzt er einen Stirnbrenner und ein eingebautes Feststofftriebwerk, dass es ihm ermöglicht, selbsttätig zu fliegen. „Wir vermuten, dass er das Ergebnis fehlgeschlagener Experimente ist“, sagt Tekaat, der ein begeisterter Leser von Thomas Pynchon ist. In dessen Roman „Gravity’s Rainbow“ kommt der amerikanische Soldat Tyrone Slothorp vor, mit dem als Baby Pawlow’sche Experimente gemacht wurden. Im Krieg stellt sich heraus, dass er immer dort mit Frauen Sex hat, wo kurz darauf eine V2-Rakete einschlägt.

Wie Tyrone Slothorp ist auch der deutsche Raketenmann eine zentrale Figur einer Geschichte, die noch geschrieben werden muss. „Möglicherweise wurde er nicht von den Nazis, sondern bereits in den 30er-Jahren von den Amerikanern in eine Umlaufbahn geschossen“, sagt Norbert Bauer. In diesem Fall würde der amerikanische Raumfahrtpionier Robert H. Goddard dahinterstecken, der bereits 1918 eine Feststoffrakete entwickelt hatte und später intensiv über Raumflüge zum Mond und zum Mars nachdachte.

Sicher ist jedenfalls, dass es in Deutschland Orte gibt, an denen der Raketenmann gelandet ist. Einige von ihnen wurden von Tekaat und Bauer fotografiert und sehen stark nach Raketenlandeplatz aus. Vermutlich benötigte sie der Raketenmann für die Navigation, denn an Öffentlichkeit war ihm nie gelegen. „Er wirkte im Geheimen und zeigte auch nie gern sein Gesicht“, erklärt Tekaat.

In letzter Zeit wurden allerdings kaum mehr Aktivitäten des einzigen deutschen Superhelden festgestellt. Tekaat und Bauer vermuten, dass er mit der deutschen Wiedervereinigung an einem unbekannten Ort in den Vorruhestand getreten ist. Der Raketenmann ist ein typisches Produkt der Nachkriegszeit. Ob es je einen Nachfolger geben wird, steht in den Sternen.

„Der Raketenmann – Installation um einen deutschen Superhelden“ von Ralf Tekaat und Norbert Bauer wird bis 28. März beim Bremer Kunstfrühling gezeigt. Im Pavillon des Gerhard-Marcks-Hauses, Di–So, 10–18 Uhr