: Brüssel will mehr Kontrolle über Zahlen
Nach den Tricksereien diverser Länder bei Defizit und Schuldenstand strebt die EU-Kommission unabhängigere nationale Statistikbehörden an. Das EU-Amt Eurostat soll mehr Befugnisse bei der Datenerhebung bekommen
BRÜSSEL taz ■ Die Finanzminister sind gespannt. Am 21. März veröffentlicht die Europäische Kommission ihre Frühjahrsprognose zur Wirtschaftsentwicklung in den Mitgliedsländern – unabhängig von nationalen Schätzungen wie dem deutschen Jahreswirtschaftsbericht. Sieht die Kommission die konjunkturelle Zukunft weniger rosig, werden blaue Briefe verschickt, weil das voraussichtlich mehr Schulden bedeutet als geplant.
Woher aber nimmt die EU-Kommission die Wirtschaftsdaten, die dem Bericht zu Grunde liegen? „Die Mitgliedstaaten müssen ihre geplanten und tatsächlichen Defizite und die Höhe ihres Schuldenstands der Kommission unverzüglich und regelmäßig mitteilen“, heißt es dazu im Vertragsprotokoll, in dem die Maastricht-Kriterien Schuldenstand und Neuverschuldung präzisiert werden.
Die Daten kommen also zweimal im Jahr von den nationalen Statistikämtern. Die arbeiten nicht überall nach dem gleichen System und sind auch nicht überall gleich unabhängig und zuverlässig. Erst nach dem Regierungswechsel in Griechenland kam letztes Jahr ans Licht, dass die Statistikbehörde in Athen jahrelang geschönte Zahlen geliefert hatte. Der Eurozone hätte Griechenland bei dieser Haushaltslage gar nicht beitreten dürfen. Dennoch darf es den Euro nun behalten, denn Konsequenzen für Tricksereien sind im Vertrag nicht vorgesehen.
Auch die Zahlen aus Italien zweifelte die Kommission im Dezember öffentlich an. Es gebe Unstimmigkeiten für die Haushaltsjahre ab 2000. Möglicherweise hätte schon viel früher eine Defizitwarnung nach Rom geschickt werden müssen.
Portugal, das 2001 als erstes Euroland einen blauen Brief aus Brüssel erhielt, hat ebenfalls Misstrauen auf sich gezogen. Pikanterweise war es Kommissionspräsident Manuel Barroso, der 2003 noch als portugiesischer Regierungschef eine Defizitquote von 2,8 Prozent präsentierte: „In einem Land, das nicht gerade daran gewöhnt ist, Ziele einzuhalten, stärkt dies die Glaubwürdigkeit.“ Heute liest sich diese Aussage eher ironisch.
Die EU-Kommission hat gestern eine Verordnung vorgeschlagen, die die Wirtschaftsdaten wasserdicht machen soll. Künftig sollen die EU-Statistiker von Eurostat vor Ort die Verfahren und die Konten nachprüfen, die zu den Zahlen geführt haben. Außerdem sollen neben den Zahlen die Buchführungsmethode und die Bewertung der Kommission veröffentlicht werden. Ende Juni will die Kommission eine Richtlinie vorschlagen, die die nationalen Statistikämter regierungsunabhängig machen soll.
Der Finanzministerrat hat die Vorschläge im Prinzip begrüßt. Dennoch ist die nötige qualifizierte Mehrheit keineswegs sicher. Die deutsche Regierung zum Beispiel will sich nicht von Eurostat-Beamten in ihre Hoheitsbereiche hineinpfuschen lassen. Sie findet die internen deutschen Qualitätskontrollen für die Maastricht-Daten streng genug. Stattdessen solle Eurostat Gelegenheit erhalten, Zweifel frühzeitig den Finanzministern vorzutragen. Dabei kann es natürlich nicht um deutsche Statistiken gehen – denn die sind ja über jeden Zweifel erhaben.
DANIELA WEINGÄRTNER