: Kühe und Computer
Im Hamburger Landfrauenverein ist Emanzipation „kein großes Thema“. Aber die 13 Ortsverbände bieten heute längst mehr als nur Singgruppen und selbst gebackenen Kuchen
von Dagny Eggert
Freilaufende Schweine, Gänse, Kühe – auf dem 1528 gegründeten Hof der Familie Eggers in der Elbmarsch mit seinen Sprossenfenstern und dem tief herabgezogenen Reetdach darf vieles so bleiben, wie es früher einmal war. Seit 1981 bewirtschaftet Christine Eggers den Vierländer Hof mit ihrem Ehemann ökologisch.
Die studierte Innenarchitektin ist „aus Liebe“ aufs Land gezogen – 1972 hat sie in den Betrieb eingeheiratet. Seither kümmert sie sich um das Kleinvieh, macht zusammen mit dem Schlachter Wurst, die sie im Hofladen verkauft, und führt Schulklassen und andere Gruppen durch den historischen Betrieb.
„Das war zuerst eine Umstellung“, erzählt die 62-Jährige. Geholfen hat der frisch gebackenen Bäuerin der Kontakt zu anderen Frauen der Region. Christine Eggers ist seit vielen Jahren Mitglied in Kirchwerder, einem der 13 Ortsverbände des Hamburger Landfrauenverbands – eine Anlaufstelle für alle Frauen, die in den ländlichen Gebieten Hamburgs wohnen. Mehr als 1.630 Frauen sind hier insgesamt organisiert, in Allermöhe genauso wie in Moorwerder oder Neugraben.
„Gerade Zugezogene bekommen durch die regelmäßigen Treffen leichter Anschluss“, weiß Irmtraut Bertram, Schriftführerin im Kirchwerder Verein, aus eigener Erfahrung. Doch wie viele Vereine kennen auch die Landfrauen inzwischen Nachwuchssorgen: „Wir freuen uns, wenn auch mal Frauen im Alter zwischen 30 und 40 bei uns eintreten“, sagt die Kirchwerder Ehrenvorsitzende Marianne Neben. Der Altersdurchschnitt liege aber bei etwa 50 Jahren. Viele fänden erst die Zeit zur Vereinsarbeit, nachdem die Kinder aus dem Haus sind.
1948, als der Landfrauenverein Hamburg gegründet wurde, war das noch anders. Damals, nach dem Krieg, erzählt Marianne Neben, waren viele Bäuerinnen allein auf dem Hof und persönliche Kontakte mit anderen Frauen hochwillkommen. Der Verein lud zu Vorträgen über die neuesten elektrischen Haushaltsgeräte, organisierte gemeinsame Ausfahrten, Singgruppen und Turnkurse. Inzwischen haben sich die Interessen gewandelt – neben den traditionellen Aktivitäten gehören längst Vorträge über genmanipulierten Raps, Feng Shui oder Computer- und Internetkurse zum Vereinsprogramm. Und auch die Klientel ist eine andere geworden: Mit der zunehmenden Besiedelung der Landgebiete hat die Zahl der Bäuerinnen über die Jahre abgenommen. Heute kommen bereits zwei Drittel der Mitglieder aus landwirtschaftsfernen Berufen.
Die Interessen sind dennoch häufig die gleichen, denn in der modernen Landwirtschaft gehören Kühe und Computer längst zusammen, und Jutta Ohlrogge zum Beispiel, erste Vorsitzende der Landfrauen im Ortsverein Curslack/Neuengamme, bleibt gern auf dem neuesten Stand. „Von der Arbeit her ist es durch die Technik viel schöner geworden“, beschreibt die 51-Jährige, die mit Mann und Sohn in Curslack einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 120 Kühen führt, die Veränderungen im Computerzeitalter. Insgesamt allerdings habe sich der Arbeitsaufwand eher erhöht: Die Buchhaltung verschlinge immer mehr Zeit, und der Preisverfall bei den Milchprodukten zwinge die Bauern, ihre Erträge immer weiter zu steigern. Da bleibe immer noch genug zu tun, auch wenn inzwischen ein computergesteuerter Automat das Füttern der Milchkühe übernimmt und selbst der Trecker über einen Bordcomputer verfüge, der bei Angabe der Feldgröße die benötigte Menge an Pflanzenschutzmittel ausrechnet.
„Als Frau auf einem Hof ist man Springer“, erzählt Jutta Ohlrogge – hin und her zwischen Buchhaltung, Tiere füttern, Essen machen. Was ihr an freier Zeit bleibt, steckt sie in die ehrenamtliche Vereinstätigkeit. Und die „will gestaltet werden: Gute Zusammenarbeit“, sagt sie, „ist das A und O.“ Wer einen Vortrag organisiert, kümmert sich auch um den Referenten, den Raum, die Begrüßung und Verabschiedung der Gäste. Jedes Vereinsmitglied bekomme eine persönliche Einladung – Gäste seien immer willkommen. Themen mit einem direkten Bezug zu den Menschen wie Krebsvorsorge oder Gedächnistraining interessierten die Frauen besonders. „Politische Fragen eher weniger. Das“, sagt Ohlrogge, „müssen wir bei der Planung berücksichtigen.“
Dennoch: „Man muss den Menschen was ins Gehirn setzen, damit sie anfangen nachzudenken“, fordert Bärbel Rieck. Sie gründete 1988 die Zeitschrift „Aktuell“ des Hamburger Landesverbands und bietet damit den 13 Ortsgruppen ein Forum: Zweimal im Jahr, in einer Auflage von 2.500 Stück, werden hier Beiträge über Aktivitäten im eigenen und in anderen Frauenverbänden veröffentlicht, Porträts berühmter Frauen wie beispielsweise Clara Zetkin oder Artikel über modernes Familienleben. Wie man eine Zeitung macht, hat sich die gelernte Floristin selbst beigebracht – neben ihrer Arbeit auf dem Blumenhof, den sie mit Ehemann, Sohn und einer Aushilfskraft bewirtschaftet: Aufstehen nachts um halb eins, dann mit Stiefmütterchen, Rosen oder Astern zum Blumengroßmarkt, wo sie bis 8 Uhr morgens mit den Einkäufern verhandelt. „Die Männer sind hier auf dem Land besser aufgehoben als auf dem Markt, ich habe das Handeln schließlich gelernt“, sagt die gebürtige Berlinerin selbstbewusst.
Die Hamburger Landfrauen gehören zum Deutschen Landfrauenverband und haben einen Sitz im Landesfrauenrat Hamburg – dem Dachverband der Hamburger Frauenvereine. Doch Emanzipation sei bei ihnen „kein großes Thema“, sagt Geschäftsführerin Christa Cauer: „Die Frauen sind durch die Arbeit im Betrieb sowieso gleichberechtigt.“ Auch in den von Männern dominierten Organisationen, der Landwirtschaftskammer etwa oder dem Bauernverband, seien sie aktiv. „Ohne Landfrauen läuft hier nichts“, bestätigt die erste Vorsitzende Elke Stubbe. Und Meike Behrmann, ihre Stellvertreterin, ergänzt: „Bei Entscheidungen im Dorf und in der Region werden wir immer mit einbezogen, denn unsere Meinung wird geschätzt.“
Beim internationalen Frauentag sind die Landfrauen, im Gegensatz zu ihrem Dachverband, eher selten präsent. Stattdessen stellen sie sich und ihre Arbeit mit Ständen auf Basaren und Messen vor, verkaufen dort Blumen und Gemüse aus der Region und gerne auch selbst gebackenene Kuchen. Dass die Landfrauen trotz ihrer vielen Aktivitäten von den meisten allerdings immer nur aufs Kuchenbacken reduziert würden, das, sagt Pferdewirtin Elke Stubbe, fände sie schon ein wenig schade.