: Mission Fleischerbeil
Einst war er Sprecher der „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritische Polizisten“, für die Grünen saß Thomas Wüppesahl im Parlament. Vor dem Hamburger Landgericht muss der Kommissar seit gestern die Rolle eines Angeklagten spielen: Die Staatsanwaltschaft wirft ihm die Planung eines Raubmords vor
VON KAI VON APPEN
Kaum ein anderer Hamburger Kriminalfall seit Jahren steckt so voller Ungereimtheiten, keiner weist so viele auch abstruse Hintergründe auf wie dieser. Seit Freitag muss sich Thomas Wüppesahl vor der großen Strafkammer des Hamburger Landgerichts verantworten. Einst Sprecher der „Bundesvereinigung Kritischer Polizisten“ saß er von 1987 bis 1990 im Bundestags, zunächst für die Grünen, später fraktionslos. Seit gestern ist er Angeklagter – in einem Verfahren wegen Verabredung zu einem Raubmord.
Die genauen Vorwürfe, von der Staatsanwaltschaft in einer 63-seitigen Klageschrift aufgelistet, lassen sich in wenigen Sätzen zusammenfassen. Wüppesahl habe einen Geldboten in Berlin überfallen, den Mann „mit einem Genickschuss töten“ und ihm dann mit einem Fleischerbeil die Hand abhacken wollen, um an den fest geketteten Geldkoffer zu kommen. Erwartete Beute: 400.000 Euro. Also habe der 49-jährige Kripo-Mann die Tat aus „Habgier“ und „Heimtücke“ geplant. Als Komplizen hätte er seinen früheren Kollegen Andreas Sch. versucht anzuheuern. Sein Job: Den Fahrer des Transporters mit einer Pistole in Schach halten. Für die Flucht hätte ein zufällig vorbeikommendes Auto gekapert werden sollen.
Der Hinweis
Sch. soll in diesen vermeintlichen Tatplan nicht eingewilligt haben. „Du tickst nicht richtig“, soll er gesagt haben. Dann vertraute er sich dem Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) der Hamburger Polizei an. Das DIE habe auf Sch. eingewirkt, zum Schein auf den Plan einzugehen.
Auf den ersten Blick mag das plausibel erscheinen. Doch Hauptkommissar Wüppesahl ist ein erfahrener Kriminalist. Er arbeitete bei der Dienststelle für Organisierte Kriminalität (OK) und bei der Mordkommission. Er weiß, dass die Aufklärungsquote bei Mord sehr hoch ist, da die ganze polizeiliche Maschinerie in Gang gesetzt wird.
Warum also sollte der Fahrer des zu kapernden Autos, ein Tatzeuge, am Leben bleiben? Und wäre ein Bolzenschneider nicht effektiver, um an den Geldkoffer zu kommen. Welcher kühl kalkulierende Verbrecher wartet auf ein zufälliges Fluchtauto, tauscht dieses später mit dem eigenen Wagen, fährt mit diesem zu einem Berliner Hotel, übernachtet dort, und fährt erst am nächsten Tag mit der Beute trotz Ringfahndung nach Hamburg zurück?
Der Kronzeuge
Staatsanwaltschaft und DIE präsentieren Andreas Sch. als Kronzeugen. Der war bis 1987 bei der Polizei in Hamburg. Dann nahm er wegen rechtsradikaler Tendenzen im Einsatzzug-Mitte eine Auszeit. Er arbeitete als Animateur in Spanien, und schrieb dort eine polizeikritische Abhandlung, die ihren Teil dazu beitrug, dass 1994 der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Hamburger Polizeiskandal eingerichtet wurde. Sch. kehrte zunächst in den Polizeidienst zurück, quittierte ihn aber später wegen Mobbings.
Der Lockspitzel
Im Fall Wüppesahl wurde Sch., daraus macht die Staatsanwaltschaft keinen Hehl, als Lockspitzel eingesetzt. Dass seine Angaben über eine Tatplanung – wenn es sie denn gegeben hat – nicht für eine Anklage ausreichten, geht aus einem Vermerk von Oberstaatsanwalt Peter Stechmann hervor. Das bloße Gerede über eine Tat reiche nicht aus, die „Verabredung eines Verbrechens“ zu beweisen. Wüppesahl müsse bei der Entgegennahme einer Waffe überführt werden. Am 25. Oktober 2004 wurde Wüppesahl in Sch.s Wohnung, die mit dessen Einverständnis abgehört worden war, festgenommen.
Doch was bisher aus den mitgeschnittenen Gesprächen zwischen Wüppesahl und Sch. an die Öffentlichkeit drang, klingt zwar prickelnd, könnte aber auch zu einem ganz anderen Szenario passen. Sch. sagte lediglich: „Da hast Du sie [die Waffe, d. Red.], das Fleischerbeil liegt noch im Auto“, dann erfolgte der DIE-Zugriff – das könnte nach Experten-Meinung auch „inszeniert“ gewesen sein. Hatte man Wüppesahl unter einem Vorwand in die Wohnung gelockt?
Das Rätsel
Andreas Sch. und Wüppesahl waren lange Jahre eng befreundet, sie kannten sich von den „Kritischen Polizisten“, Sch. war sogar Trauzeuge bei Wüppesahls Heirat: Warum sollte Sch. seinem Freund und Weggefährten eine solche Falle stellen? Aus dem gemeinsamen Bekanntenkreis gibt es nur Andeutungen.
Danach soll Sch. nach seinem Ausscheiden bei der Polizei immer mehr in finanzielle und persönliche Schwierigkeiten gekommen oder sogar in dubiose Kreise geraten sein. Fragen, die nur der Prozess klären kann, da der Kronzeuge Andreas Sch. von den Sicherheitsorganen abgeschirmt wird.
Die Ermittlungen
Kriminaltechnisch stellt sich die Frage, warum das DIE die Ermittlungen nicht abgegeben hat, obwohl es in „operativer Verbrechensprävention“ über keinerlei Kompetenz verfügt. Warum wurde mit dem Zugriff nicht bis zur Ausführung der Tat – sollte sie denn stattfinden – abgewartet? Die Telefone waren angezapft, der vermeintliche Plan bekannt, und mit Sch. hatte man sogar einen V-Mann eingeschleust: Eine hervorragende Ausgangsbasis für Fahnder der OK-Verbrechensbekämpfung.
Dass Wüppesahl viele Feinde in Polizeiapparat und Staatsanwaltschaft hat, steht außer Frage. Er gilt als „Querulant“, der in vielen Vorfällen eine Verfehlung witterte, sie veröffentlichte und einschlägig kommentierte. Selbst wenn er sich dabei mit Oberstaatsanwälten, Polizei- und Gerichtspräsidenten oder Staatsräten und Senatoren anlegte. Auch wenn dies in der Öffentlichkeit oft schräg ankam, in der Substanz war seine Kritik, über die auch die taz hamburg häufig berichtete, meist berechtigt.
Die Verteidigung
Unmittelbar nach Wüppesahls Verhaftung kündigten seine Anwälte die Präsentation einer „zweiten Version“ an. Die blieb bisher aus, Wüppesahl schwieg auch gestern noch. Nur in privaten Briefen an Freunde gibt es Andeutungen. Mit den Star-Anwälten Gerhard Strate, Uwe Maeffert und Peter Wulf hat Wüppesahl drei Koryphäen als Strafverteidiger, die sich von Polizei und Staatsanwaltschaft in der Regel nicht vorführen lassen. Ihre dezenten Hinweise gegenüber der taz, sich den Kronzeugen erst einmal „anzusehen“, nähren die Vermutung, dass sie etwas in der Hinterhand haben.
Die Komplott-Theorie
Thomas Wüppesahl sieht sich, wie schon bei diversen anderen angestrengten Strafverfahren gegen ihn, als Opfer eines Komplotts. Der Prozess sei „ein weiterer Versuch der Staatsanwaltschaft, Wüppesahl als politische Person aus- und abzuschalten“, schrieb er Anfang der Woche an die taz.
In der Tat hat er wegen seines Egozentrismus viele Freunde verprellt, in der Öffentlichkeit hat er wegen seiner ausschweifenden Selbstdarstellungen viel Kredit verloren. In den zahlreichen gegen ihn angestrengten Strafverfahren witterte er immer politischen Verrat, bei konkreter Betrachtung der Faktenlage konnte er aber immer wieder Beweise für seine Unschuld liefern.
Kurz nach Weihnachten noch hob das Hanseatische Oberlandesgericht einen umstrittenen Schuldspruch gegen ihn auf. Wäre er bestätigt worden, hätte Wüppesahl seine Pensionsberechtigung verloren. Das wird von der Staatsanwaltschaft als wesentliches Motiv für den angeblich geplanten Überfall herangezogen. Wüppesahl und sein Anwalt Strate aber waren in diesem Revisionsverfahren stets siegesgewiss gewesen.
Es gibt eine Menge zu klären. Davon geht offenbar auch das Gericht aus: 26 Verhandlungstage hat der Vorsitzende Richter für den Prozess angesetzt. Ein Urteil wird nicht vor Mitte Juli erwartet.