: Me cool man!
Rum, Ganja, karibische Strände, Rastaman und immer wieder Bob Marley. Die Insel unter der karibischen Sonne steht zu ihren Klischees. Nur Trench Town gibt es nicht im Programm: zu gefährlich für Touristen. Denn: We’re belly full but they’re hungry. Eine Reise zu touristischen Highlights von Jamaika
VON JÖRG BORGERDING
Yah man! ist wohl die am häufigsten gebrauchte Redewendung auf Jamaika. Sie hat verschiedene Bedeutungen: danke, bitte, okay, so ist das! und natürlich: Ja, Mann! „Man“ gilt beiden Geschlechtern. So wie auch eine Jamaikanerin mit Rastalocken ein Rastaman ist. Geht’s einem Jamaikaner (oder einer Jamaikanerin) gut, sagen sie: „Me cool man!“, wollen sie einem anderen mitteilen, dass er oder sie gut aussieht: „You’re looking fat man!“ Und das bezieht sich freilich nie auf die Figur des Angesprochenen.
Bittet man einen Jamaikaner um etwas, antwortet er häufig: „Give me two minutes!“ Jamaikanische Minuten können sehr lang sein. Der Jamaikaner hat viel Zeit – nur nicht, wenn er hinter einem Lenkrad sitzt. Zum Glück lässt der allgemeine Straßenzustand selten mehr als 60 Stundenkilometer zu.
Frühmorgens weckte mich ein Zwacken an der Stirn. Im Halbschlaf fahre ich mit der Hand darüber und spüre etwas käferig Glattes. Im fahlen Licht, das durch die nur spärlich verhängten Fenster ins Zimmer scheint, sehe ich einen großen Käfer übers Laken unter das Kopfkissen krabbeln. Eine Kakerlake krallt sich in den Kissenbezug. Eine große Kakerlake, eine sehr große Kakerlake.
Es gibt keinen Grund, sich auf Jamaika über das Vorhandensein von Kakerlaken im Hotelzimmer aufzuregen. Was würde ein Jamaikaner sagen, wenn er im deutschen Badezimmer einen Silberfisch sieht ? Yah man.
Dwayne ist Barkeeper an der Strandbar des Hotels. Dwayne sieht nicht nur gut aus, er ist auch sehr neugierig. Gehen hübsche Mädchen an seiner Bar vorbei, ruft er ihnen zu: „Hey ladies, where are you from?“ So wie bei den beiden jungen Damen, die kichernd antworten: „Montreal!“
Dwayne beendet das Schütteln des Mixbechers und lächelt: „Ah Canada!“ und gießt den beiden neben mir stehenden silikonverstärkten Amerikanerinnen ihre Dirty Bananas ein.
„The other day there where two lovely ladies here, from Japan!“, erzählt Dwayne so laut, dass es alle Gäste an der Bar hören können.
„Oh really?“, fragt eine der beiden Upper-class-Damen und suckelt an der schmutzigen Banane.
„Yah man!“, bekräftig Dwayne und lässt zwei Reihen bildhübscher Zähne sehen. „And I asked them: What are you ladies here for?“
In gespannter Erwartung blicken die American Beauties den Barmixer an und nippen gebannt an ihren Cocktails.
„And they told me“, fährt der Barmann fort und stellt mir das bestellte Red Stripe hin, „they wanted to meet a jamaican man“, grinsend blickt er in die Runde, „with a big black dong!“
Dwayne lacht aus voller Kehle, ich verschlucke mich an meinem Bier und die beiden Amerikanerinnen schleichen sich pikiert von dannen.
Kingston. Kolonialvillen, Bankerviertel, Bob-Marley-Museum. Trench Town bekamen wir nicht zu sehen, zu gefährlich für Touristen, sagt man. Denn: We’re belly full but they’re hungry.
Die Blue Mountains, üppig green, dschungelig. Berge bis zu 2.000 Meter Höhe, auf denen der Blue Mountain Coffee wächst. An einer Bretterbude, irgendwo an der sich schlängelnden Straße, probieren wir ihn aus, aus Plastikbechern. Er schmeckt wirklich gut. Eine Kakerlake krabbelt vor meinen Füßen entlang, ich weise die Mitreisenden darauf hin, erzähle von meiner Kakerlake im Hotel. Ein alter Jamaikaner, der auf einer Holzbank vor der Bude sitzt, schickt den Käfer mit festem Tritt in den Kakerlakenhimmel. Er lächelt mich zahnlos an. An der Tür zum Coffe-Shop ein Plakat, das zur Benutzung von Kondomen aufruft: Aids is everywhere!
Port Antonio, eine schöne, bunte, lebhafte Stadt. Dort habe ich erstmals Begegnung mit Jerk Pork, neben Jerk Chicken und Jerk Fish die Lieblingsspeise der Jamaikaner. In scharfer, in sehr scharfer Sauce eingelegtes Fleisch wird in einem aufgeschnittenen Ölfass gegrillt. „Best filet!“, versichert der Grillchef, der mir auf der Straße eine Portion Jerk Pork verkauft. Für mich sieht es mehr wie gegrillter Schweinebauch aus. Und, wie gesagt: Es ist sehr scharf gewürzt. Es brauchte zwei Flaschen eiskalten Red Stripes, um das Feuer in meiner Kehle einzudämmen. Aber es schmeckte. So gut wie Filet.
Rastaman isst kein Jerk – weder Pork noch Chicken noch Fish. Rastaman isst auch kein Ei: Er isst nichts, was aus dem Po kommt. Rastaman isst Ackee, eine Frucht, deren Fleisch wie Ei schmeckt. Rastaman trinkt kein Red Stripe und keinen Red Wine.
Rastaman raucht Ganja.
Rastafari grüßen sich mit der erhobenen rechten Faust: One God!
Die Blaue Lagune. Die weltberühmte Blaue Lagune. Drehort des gleichnamigen Films mit Brooke Shields. Sogar Joe Cocker war kürzlich dort, versicherte mir der Wirt des am Ufer gelegenen Restaurants nicht ohne Stolz. Ob Joe sich dort wohl auch so gelangweilt hat wie ich? Ob er sich auch gefragt hat, was um alles in der Welt die Menschen so interessant an der Blauen Lagune finden? Waren die nie im Schwarzwald am Feldsee?
Immer wieder sieht man einzelne Gräber oder Doppelgräber auf Privatgrundstücken nahe dem Haus. Das ist erlaubt in Jamaika, außerhalb der Städte. Richtige Beerdigungen sind teuer, auch auf Jamaika.
Ocho Rios, Ochie: die Dunn’s River Falls. An den Fällen hinab geht es über Holztreppen bis zum Meeresufer. Hinauf kann man die 190 Meter hohen Fälle durchs Wasser gehen, wenn man die juchzenden, schreienden, singenden, lachenden, plantschenden, fotografierenden Touristenhorden darin nicht scheut.
Vorbei an einer der ganz wenigen Kasernen Jamaikas. Jamaika hat nur eine winzige Armee von Freiwilligen. Aus tausenden von Bewerbern werden jährlich nur einige Dutzend ausgewählt. Soldat sein heißt auf Jamaika: Erfolg haben. Wer die harte Grundausbildung übersteht, dem winkt ein gutes Leben: geregeltes Einkommen, Berufsausbildung (es gibt keinen Beruf, den man beim Militär nicht lernen kann) und Krankenversicherung. Nur knapp fünf Prozent der Jamaikaner sind krankenversichert. Es ist zu teuer.
Wer Zahnweh hat, kaut Nelken. Wenn das nicht hilft, findet sich jemand, der einem den schmerzenden Zahn zieht. Eisenkraut gegen Kreuzschmerzen, Brotbaumfrucht gegen Durchfall, grüne Kokosnuss gegen Herzbeschwerden und Potenzschwäche. Papayakerne und Liebe unterm Tulpenbaum: Beides soll ungewollte Schwangerschaften verhindern. Die Erfolgsquote ist beachtlich.
Wenn alles nicht hilft, geht man zum Bushdoctor oder zur Voodoo-Frau, zur guten natürlich. Die böse heilt mit Puppen, die gute heilt mit Natur. Bushdoctor und Voodoo-Frau mixen Tees für alle Krankheiten, der Glaube an die Wirkung des Tees bewirkt Erstaunliches.
Erstaunlich? Nein.
Wie viel Placebo steckt in unseren Pillen und Tropfen?
Falmouth: Industrieruinen, brachliegende Hallen, stillgelegte Schiffe. In einer der verwaisten Fabrikhallen aß Steve McQueen vor Hunger dem Wahnsinn nahe Kakerlaken. Beziehungsweise er tat zumindest so.
Eine Plantage, irgendwo am Rande der Blue Mountains. Guave, Kokosnuss (die junge Kokosnuss: viel Wasser – wenig Fleisch, bei der alten ist es umgekehrt!), der Mamie-Baum, von dem es auf der Insel nur etwa zehn Stück gibt, Zimt, Bananen (vor einigen Jahren sind neunzig Prozent der jamaikanischen Bananenpflanzen an der Bananenkrankheit eingegangen), verschiedene Apfelsorten, Mango, Papaya. Gottes Garten. Reiche Ernte mehrmals jährlich. Auf Jamaika muss niemand hungern, nicht mal die Ärmsten.
Negril, die Wiege des Tourismus auf Jamaika. In den Siebzigern standen dort einige bunt bemalte Hippie-Hütten, heute reiht sich dort Hotel an Hotel, alle erfreulich niedrig gebaut, kein El Arenal, kein Side. Kilometerlanger Strand mit vielen Craft-Händlern. Holzgeschnitztes. Aber auch T-Shirts, Muscheln und immer wieder: Ganja, das einem von Männern mit blutunterlaufenen Augen unverhohlen angeboten wird. Es ist verboten, Ganja zu rauchen, aber niemanden stört es, wenn man es trotzdem tut.
Dis YS-Wasserfälle: kleiner und beschaulicher als die großen Dunn’s River Falls. Gelegen inmitten eines großen, privaten Naturschutzparks, vor vielen Jahren für wenig Geld von den Herren Y & S gekauft. In der Nähe: Appleton Estate, Quelle des legendären Jamaika-Rums. Jamaika steht mit zwei Rekorden im Guinnessbuch: das Land mit den meisten Bars und mit den meisten Kirchen pro Quadratkilometer.
Was die Welt Jamaika brachte:
Afrika: die Kokosnuss
Indien: das Ganja
England: den Linksverkehr und die Schuluniformen
Deutschland: den TÜV.
Was Jamaika der Welt brachte:
Rum
Reggae
Und die Möglichkeit, einen wundervollen Urlaub zu verbringen.
Yah man!