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Archiv-Artikel

Der Eskalationsstratege

Erkundungen für die Präzisierung der Gefühle rund um einen Aufstand (2): Rudi Dutschkes Verhältnis zur Gewalt zu untersuchen gehört zur Selbstaufklärung der Linken. Entgegnung auf Klaus Meschkat

■ Muss, wer Rudi Dutschke sagt, auch Gewalt sagen? Um diese Frage ist eine Debatte entbrannt, die auch ein aktuelles politisches und gesellschaftliches Selbstverständnis betrifft: Wie viel Abgrenzung von 68 muss, wie viel Anlehnung soll sein? Eine Essayreihe über den langen Marsch durch die Deutungen einer Revolte

VON WOLFGANG KRAUSHAAR

Um näher auf die Vorwürfe eingehen zu können, die Klaus Meschkat an dieser Stelle gegen mich erhoben hat, ist es erforderlich, zunächst ein paar Informationen zu geben, die in der Öffentlichkeit bislang weitgehend unbekannt sind. Denn die Tatsache, dass sich der Dutschke-Nachlass zum überwiegenden Teil im Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung befindet, hat auch etwas mit seiner Person zu tun. Als langjähriger Freund der Familie hatte Meschkat Gretchen Dutschke zehn Jahre nach dem Tod ihres Mannes den Vorschlag gemacht, dessen Nachlass dort zu ordnen. Zusammen mit ihrem jüngsten Sohn Marek war sie 1990 durch meine Fürsprache nach Hamburg gekommen, um mit diesem Aufarbeitungs- und Archivierungsprojekt zu beginnen. Aus ihrer zusätzlichen Aufgabe, die Rolle ihres Mannes bei der Entstehung der Grünen zu untersuchen, ist schließlich die sechs Jahre später unter dem Titel „Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben“ herausgekommene Dutschke-Biografie entstanden.

Der kürzlich publizierte Aufsatz „Rudi Dutschke und der bewaffnete Kampf“ wiederum ist Teil eines Forschungsprojektes, an dem seit anderthalb Jahren im Institut gearbeitet wird und das den Titel „Die RAF und die Herausforderung der Demokratie“ trägt. Meschkat kennt das Projekt seit langem, schließlich ist er eingeladen gewesen, dazu selbst einen Beitrag zu verfassen. Inzwischen hat er seine Zusage mit Verweis auf den Band „Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF“ zurückgezogen.

Nun glaubt Meschkat, mir nach dem Erscheinen dieses Pocket-Bandes zum Vorwurf machen zu müssen, ich würde eine „Demontage Rudi Dutschkes“ betreiben, gar eine gegen Dutschke und dessen Ansehen gerichtete „Kampagne“ inszenieren. Das ist – um es in einem Wort zu formulieren – absurd.

Schließlich geht es mir um nichts anderes als um eine Historisierung. Der Zeitpunkt für eine solche Aufgabe ist, sofern sie sich an tabuisierte Fragen heranwagt, bekanntlich immer verkehrt. Insbesondere die Linke hat sich zumeist schwer damit getan, sich mit problematischen Teilen ihrer Vergangenheit konfrontieren zu lassen und dabei auch eigene Fehler einzuräumen. Insbesondere deshalb, weil so etwas angeblich immer nur dem politischen Gegner dienen könne, der auf jede sich bietende Gelegenheit nur warte. Auch dieses Klischee lässt sich Meschkat nicht entgehen. Neu ist daran lediglich, dass er zu den angeblich gegnerischen Organen neben Bayernkurier und FAZ nun auch die Frankfurter Rundschau zählt.

Um welche Vorwürfe geht es eigentlich?

Der erste lautet, hinter bessere, bereits vor zwei Jahrzehnten geäußerte Einsichten zurückgefallen zu sein, der zweite, die Gewaltfrage aus ihrem damaligen Kontext herausgelöst und der dritte, darüber hinaus auch noch einzelne Aktivitäten aufgebauscht zu haben.

Nichts davon ist zutreffend.

Erstens: Wäre mir bereits Mitte der Achtzigerjahre bekannt gewesen, dass Dutschke seinerzeit in Aktivitäten involviert gewesen ist, die zu Anschlägen hätten führen sollen, dann wäre mein damaliges Urteil sicher anders ausgefallen. Gleichwohl bin ich der Ansicht, dass es zwischen dem, was die RAF praktiziert und dem, was Dutschke nicht nur gedacht, sondern auch ausprobiert hat, immer noch eine unleugbare qualitative Differenz gibt. Es ist allerdings absurd, einem Historiker einen inzwischen längst überholten Kenntnisstand vorwerfen zu wollen.

Zweitens: Der Vietnamkrieg steht gewiss nicht im Zentrum meines Textes, er wird aber auch nicht verschwiegen. Im Unterschied zu Meschkat bin ich jedoch der Auffassung, dass der verbrecherische Krieg der USA niemanden hätte hierzulande legitimieren dürfen, Bomben zu legen oder zu werfen. Wer unspezifisch auf einen durch nichts zu rechtfertigenden Krieg verweist, um daraus etwaige Gründe für politisches Handeln ableiten zu wollen, der läuft Gefahr, in eine Argumentation zu geraten, die die RAF für sich selbst in Anspruch genommen hat – unverkennbar Ché Guevaras Motto „Schafft zwei, drei, viele Vietnam“ folgend, dass der in Südostasien von einer Weltmacht geführte Krieg, die zugleich der wichtigste Bündnispartner des eigenen Landes ist, importiert werden müsse.

Drittens: Was Dutschke auf dem Höhepunkt der 68er-Bewegung zu tun bereit war, hatte nichts mehr mit Regelverletzungen oder dergleichen zu tun. Wer bei Anschlägen auf Sendemasten und Schiffe glaubt sichergehen zu können, keine Menschen zu gefährden, ist zumindest ein Narr. Und wer im Nachhinein wie Meschkat so tut, als habe es sich dabei um symbolische Angriffe gehandelt, der ist Teil des Problems, das ich aufzuzeigen versucht habe. Wo leben wir eigentlich, dass man den Transport von Sprengstoff und Bomben als Episoden und Anekdoten klein reden und verharmlosen kann? Was wäre eigentlich geschehen, wenn Dutschke und Nirumand im März 1968 mit jener Bombe, die sie damals in einem Koffer mit sich führten, verhaftet worden wären? Mit Dutschke als ihrer unzweifelhaften Galionsfigur wäre die außerparlamentarische Bewegung noch sehr viel stärker an den Pranger gestellt worden, als es damals ohnehin der Fall gewesen ist.

Für mich ist die Frage, ob Dutschke Pazifist oder Terrorist gewesen sei, allerdings falsch gestellt. Er war – woran ich nie einen Zweifel hatte – weder das eine noch das andere. Dutschke propagierte eine Eskalationsstrategie und drehte, was die Entgrenzung der Gewalt anbetraf, bis zu dem auf ihn verübten Attentat ständig wie an einer Schraube. Der Gestus, mit dem er auf dem Vietnamkongress aufgetreten ist, trug maßgeblich mit dazu bei, in einer Atmosphäre der Gewaltlatenz die Kritik am Vietnamkrieg zu immer instrumentelleren Fragen der organisierten Gewaltanwendung zuzuspitzen. Dutschke ist zweifelsohne eine widersprüchliche und zugleich tragische Gestalt gewesen.

Was das alles für das Rudi-Dutschke-Haus der taz, die Inanspruchnahme Dutschkes als einem vermeintlich öko-pazifistischen Vorkämpfer seitens der Grünen oder die von der PDS maßgeblich mitgetragene Initiative zu einer Straßenumbenennung in Berlin-Mitte heißt, das schert mich wenig. Daher habe ich es bislang auch immer abgelehnt, mich zum letztgenannten Punkt explizit zu äußern. Zu den Aufgaben eines Historikers gehört es jedenfalls nicht, die Resultate seiner Arbeit in einem funktionalistischen Sinne als Beiträge zu einer symbolischen Politik zu verstehen.

Wenn es für Meschkat erforderlich sein sollte, Bomben- und Sprengstoffaktivitäten zu verharmlosen oder unter einem pauschalen Verweis auf den Vietnamkrieg implizit gar zu legitimieren, um in seinen Augen noch als „gewissenhafter Zeithistoriker“ erscheinen zu können, dann soll er dieses Etikett doch für Leute reserviert halten, die eine derart zweifelhafte Anerkennung verdient haben.

Mir sind Vorwürfe dieser Art, insbesondere was die historische Rolle Rudi Dutschkes anbetrifft, seit langem vertraut. Wenn diese eine Arbeit begleiten, die sich im Kern als Teil einer Selbstaufklärung der Linken und nicht als die x-te Auflage einer so genannten 68er-Debatte oder was auch immer begreift, dann ist das halt so.

Vor 25 Jahren habe ich den Anstoß dafür gegeben, dass das Organisationsreferat, mit dem Dutschke und Krahl 1967 den SDS aufgefordert hatten, sich in eine Verweigerungs- und Sabotage-Guerilla umzuwandeln, erstmals abgedruckt worden ist. Inzwischen kommt an diesem Schlüsseldokument niemand mehr vorbei, der sich ernsthaft über den SDS, die damalige Bewegung und ihre Wortführer äußern will.

Vor 20 Jahren habe ich dieses Dokument auf einem Symposium zur Geschichte des SDS in das Zentrum einer Betrachtung gerückt, der es um eine Klärung des seinerzeit noch weitgehend tabuisierten Verhältnisses zwischen 68er-Bewegung und RAF gegangen ist. Auch das hat zunächst Widerspruch hervorgerufen.

Und vor 15 Jahren habe ich unter dem Eindruck der deutschen Einigung und des damit einhergehenden Versagens der einstigen Neuen Linken Dutschke und die nationale Frage zum Thema gemacht. Meiner These, dass wir es bei seiner politischen Biografie mit einer insgeheimen Dialektik von Internationalismus und Nationalismus zu tun haben, widerspricht inzwischen niemand mehr. Die gesamte Zeit über war mir klar, dass die Frage, wie Dutschke zur Gewalt, zum bewaffneten Kampf und zum Aufbau einer Guerilla gestanden hat, einen zentralen Stellenwert besitzt und weder den Familienangehörigen noch den ehemaligen Freunden und Kampfgefährten überlassen bleiben sollte. Diese ziehen es in der Regel ohnehin vor, nur in Andeutungen davon zu sprechen oder sich ganz darüber auszuschweigen.

Die Tatsache, dass nun eine Debatte über diese Fragen eingesetzt hat, ist zu begrüßen. Die Versuche jedoch, sie zu delegitimieren und sie – wie hier geschehen – durch Gesinnungsbekenntnisse zu ersetzen, sind zum Scheitern verurteilt.

Auch wenn sich Exponenten der „58er-Bewegung“, wie einmal die in Hannover besonders stark vertretenen Anhänger der vor einem halben Jahrhundert aktiven Bewegung gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr bezeichnet worden sind, noch so sehr ins Zeug werfen sollten, um an ihren Idealisierungen der 68er-Bewegung festzuhalten, so gibt es keinen Grund, von den Imperativen einer Historisierung abzulassen.

Wolfgang Kraushaar ist Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung mit dem Schwerpunkt Protest und Widerstand in der BRD und DDR. – Der Artikel von Klaus Meschkat, auf den sich diese Erwiderung bezieht, stand am 1. März auf diesen Seiten. Die Debatte wird kommende Woche fortgesetzt