: Heuchler und Verdiener
Die Chefs der Krankenkassen haben sich ihr Gehalt erhöht. Das ärgert viele. Aber es ist kein Beitrags-Skandal
Das Sozialgericht Münster hat kürzlich geurteilt: Ein Arbeitsloser, der vom Arbeitslosengeld II in Höhe von 345 Euro im Monat lebt, soll hiervon auch seine neuen Brillengläser für 100 Euro bezahlen. Ein „menschenwürdiges Leben“ sei von 245 Euro durchaus möglich. Asylbewerber bekämen ja auch bloß 225 Euro.
Die Belastungen, die gerade Nichts- und Wenigverdiener seit der Gesundheitsreform hinnehmen müssen, stehen noch einmal in neuem Licht da, wenn zu erfahren ist, dass Krankenkassen-Vorstände sich kurz vorm Inkrafttreten 2004 eine Gehaltserhöhung genehmigten. So haben die Chefs des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen, Wolfgang Schmeinck und Klaus-Dieter Voß, ihre Bezüge im September 2003 um 8,5 bzw. 10,5 Prozent erhöhen lassen: Auf 215.000 bzw. 175.000 Euro im Jahr.
Ob solche Gehälter für Kassenchefs angemessen sind, sei zunächst dahingestellt. Irreführend aber ist es, ihre Höhe in die gegenwärtige Debatte über Beitragssenkungen zu mischen. Denn der Kampf zwischen den Kassen und der Politik um Beitragssenkungen hat seine eigenen Regeln: Die Kassen wollen all das Geld, das sie jetzt dank der Einsparungen am Patienten übrig haben, in Schuldentilgung stecken. Die Politik will, dass sie damit die Beiträge senken – denn dann erst würde das Versprechen der Gesundheitsreform, nämlich die Lohnnebenkosten zu senken, erfüllt. Fünfstellige Gehaltserhöhungen machen in diesem Zwist keinen Braten fett. Wir reden hier über Milliarden.
Erst kürzlich musste die niedersächsische AOK-Chefin ihren Hut nehmen, weil sie ihre Bezüge unzulässig aufgestockt hatte. Natürlich sind Kassenchefs keine bescheidenen Menschen. Darin unterscheiden sie sich jedoch keinesfalls von Ärztefunktionären. Die Chefs der Kassenärztlichen Vereinigungen haben ihre Gehälter in jüngerer Zeit ebenfalls deutlich erhöht: Auf bis zu 250.000 Euro. Auch dies ist Geld, das die Versicherten aufbringen, selbst wenn die Ärzte es von ihren Honoraren abzweigen.
Unangemessen ist es daher, wenn nun Ärzteverbandschefs die Kassenchefs geißeln. Festzuhalten bleibt, dass der Selbstbedienungsladen Gesundheitssystem funktioniert: Für alle, die damit ohnehin wunderbar verdienen. ULRIKE WINKELMANN