piwik no script img

Archiv-Artikel

Über Nacht zur Terroristin gestempelt

Die ehemalige nicaraguanische Guerillera Dora María Téllez darf nicht in die USA reisen und in Harvard lehren

WIEN taz ■ „Vor zwei Wochen wachte ich auf und war zum Freund einer Terroristin geworden“, schreibt der nicaraguanische Historiker Andrés Pérez-Baltodano in einer Kolumne. Bei der „Terroristin“ handelt es sich um die 49-jährige Politikerin Dora María Téllez, die sich unerwartet auf einer schwarzen Liste des US-amerikanischen State Department wiederfand. Die Vorsitzende der Sandinistischen Erneuerungsbewegung (MRS) weiß auch nicht, wie sie sich dafür qualifizierte, Ussama Bin Laden und dem berüchtigten „Chemical Ali“ auf einer Liste Gesellschaft zu leisten.

„Ich hatte eine Einladung an die Universität Harvard, wo ich im Februar ein Seminar halten wollte“, sagt Téllez zur taz. Vor Antreten des Lehrauftrages wollte sie an der Uni San Diego ihr Englisch aufbessern. Zehn Monate vorher suchte sie am Konsulat in Managua um ein Visum an. Mehr als ein halbes Jahr verstrich, bevor Dora María Téllez nachfragte. Das liege nicht in seiner Macht, beschied ihr der Konsul. Das State Department, also das Außenministerium in Washington, verweigere die Visaerteilung. Vor wenigen Wochen bekam sie schließlich die offizielle Bescheinigung: Visum verweigert wegen Terrorismusgefahr.

Als junge Guerillakommandantin der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) hatte sie im August 1978 führend an der Einnahme des Nationalpalastes in Managua teilgenommen. Mehrere Dutzend Abgeordnete der Diktatur wurden als Geiseln genommen und wenig später im Austausch gegen sandinistische Gefangene und ein Lösegeld wieder auf freien Fuß gesetzt.

Während der 1984 durch demokratische Wahlen legitimierten Revolutionsregierung fungierte sie mehrere Jahre als Gesundheitsministerin. Nach der Abwahl der Sandinisten überwarf sie sich mit der Parteiführung und gründete gemeinsam mit dem Schriftsteller Sergio Ramírez die Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS). Sie lebt jetzt als freie Beraterin in Managua. In die USA war sie seither mehrmals gereist – privat und auf Einladung von Universitäten. Sie hatte sogar ein zehn Jahre gültiges Touristenvisum.

Doch seit dem 11. September 2001 ist alles anders. „Mein Touristenvisum wurde jetzt auch annulliert“, klagt Téllez am Telefon. Andere Sandinistenpolitiker, die ja auch am Befreiungskampf beteiligt waren, oder ehemalige Contras, die im Auftrag der USA mit offen terroristischen Methoden gegen die Revolution kämpften, sind bisher nicht von ähnlichen Einreiseverboten betroffen.

Während in den Medien und von Seiten der Zivilgesellschaft Solidarität mit der unerwartet zur Terroristin gestempelten Politikerin gezeigt wurde, hat weder die Parteispitze der FSLN noch die vom liberalen Unternehmer Enrique Bolaños geführte Regierung öffentlich reagiert. Dora María Téllez erwartet, dass der Außenminister aktiv wird und in Washington dafür sorgt, dass sie von der Liste gestrichen oder der Vorwurf gegen sie konkretisiert werde.

Den Vorschlag, ihr Englisch inzwischen in Europa aufzupolieren, will sie vorerst nicht aufgreifen: „Da fahre ich lieber nach Jamaica. Dort ist es lustiger.“

RALF LEONHARD