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Archiv-Artikel

Die Kultur trug schwarz

Statt zu feiern, leckte Bremens Kulturelite ihre Wunden – und mühte sich, die 2010-Niederlage sportlich zu nehmen. Auf dem als Siegesparty geplanten Trauerfest räsonnierte man über Essen und träumte von einer alternativen Kulturhauptstadt: Bremen

Bremen taz ■ Vielleicht war es ein Fehler, sich ausgerechnet im „Falstaff“ zu treffen. Falstaff, das ist ein ungeschlachter Angeber bei Shakespeare. „Zur Selbstüberschätzung neigend“, steht im Lexikon. Dort wollte man gestern Abend die Entscheidung der Jury abwarten, wer Kulturhauptstadt werden würde. Und dann darauf anstoßen. Aber bereits um 18.30 Uhr ist klar, dass es nichts zum Anstoßen geben wird.

In der halb vollen Kneipe sitzen die Kulturmenschen Bremens und diejenigen, die die Kulturhauptstadts-Bewerbung vorangebracht haben, und wenn sie sich über Falstaff keine Gedanken gemacht haben, sind sie zumindest in jenes Kulturschwarz gewandet, das zu jedem Anlass passt. Schon um kurz nach sechs hat die Staatsrätin aus Berlin angerufen: Nein, Bremen sei es nicht geworden. Görlitz und Essen. Görlitz und Essen. Görlitz und Essen. Mit Görlitz hat man gerechnet, Grenzstadt mit grenzübergreifendem Konzept, aber Essen? „Essen!“, sagt eine blonde Frau abfällig. „Die Kulturhauptstadt muss doch etwas repräsentieren“.

Draußen im Flur geben die wichtigen Menschen Interviews. „Man muss es tragen als subjektive Entscheidung der Jury“, sagt der Intendant Klaus Pierwoß. „Ich befürchte ein bisschen, dass die Kultur in Bremen jetzt einen Rückschlag erhält“. Drinnen in der Kneipe läuft ein Fernseher, der Menschen zeigt, die in dunklen Jacketts durch glasverkleidete Gänge eilen. Vermutlich gehören sie zum Umfeld der Kultusministerkonferenz, aber das interessiert jetzt keinen mehr.

Um 19 Uhr sollte es eine Telefonschaltung zu Bildungssenator Lemke geben, um die Entscheidung direkt zu erfahren. Vielleicht wären die verhaltenen Kulturschaffenden in einen Jubel verfallen, wie ihn sonst nur Fußballfans zeigen. Vielleicht hätten sie ihre Freude nur ganz gemessen gezeigt, so wie jetzt ihre Enttäuschung nur dezent zu spüren ist. Wer ein Mobiltelefon hat, telefoniert. Die übrigen stehen und sitzen in kleinen Gruppen beieinander. „Ist das schlimm?“, fragt ein Herr im Nadelstreifenanzug eine Hosendame. „Es ist richtig schlimm“, sagt sie. „Vielleicht könnten wir ja eine alternative Kulturhauptstadt werden, so wie es einen alternativen Nobelpreis gibt.“

Draußen gehen die Interviews weiter, die Leute sagen in etwa das Gleiche. „Das muss man wegstecken können“, sagt der Kultursenator. „Es wäre ein fataler Fehler, die Kulturstadt Bremen jetzt ad acta zu legen“, sagt der Kulturrat der Arbeitnehmerkammer. „Scheiße“, sagt der Sprecher des Kultursenators. Drinnen flimmert im Fernsehen das bekümmerte Gesicht von Björn Engholm vorüber. Aber wer interessiert sich hier schon für die Gefühle Lübecks?

Interessanter ist es, sich selbst im Fernsehen zu betrachten, denn jetzt kann man in „Buten un Binnen“ die Interviews sehen, die hier vor einer Stunde mit den hiesigen VIPs geführt worden sind. „Wir müssen den Film und den Gast noch zusammenbauen“, sagt die Moderatorin ein bisschen derangiert, offenkundig hat auch Radio Bremen nicht damit gerechnet, dass die Stadt aus dem Rennen fallen könne. Der Gast ist Klaus Sondergeld, Geschäftsführer der Bremen Marketing GmbH. „Lag es am Personal?“, fragt die Moderatorin und man glaubt zu sehen, wie Martin Heller, der künstlerische Leiter der Bewerbung, kurz zusammenzuckt. „Wir hatten den besten Mann“, sagt Sondergeld und die Menschen im Falstaff beginnen zu klatschen. An Sondergelds Stelle tritt eine Kommentatorin von Radio Bremen. „Ist die Kulturhauptstadt überhaupt das Richtige, wenn Bremen sich nicht mehr freie Schulbücher leisten kann?“, fragt sie, während im Saal gemurrt wird. „Wäre es das wirklich wert gewesen?“ Martin Heller ist erschöpft, man sieht es an seinem bleichen Gesicht, er hat den ganzen Abend in sein Handy getippt, als könne es ihn ein wenig aus Bremen hinausheben. Aber jetzt belebt er sich. „Ich akzeptiere jede Jury-Entscheidung“, sagt er. „Aber das ist falsch, falsch, falsch. Kultur ist nicht für eine Elite, es ist keine Schaumkrone, sondern der Faktor, um diese Stadt voranzubringen“. Ein bisschen später fühlt man sich im Falstaff wie auf irgendeiner Feier: einsame Männer am Tresen, davor gesprächige Kleingruppen und darüber das Lachen des Kulturressortsprechers. Friederike Gräff