Im Alter immer lebensmüder

Die Suizidraten bei über 60-Jährigen sind besonders hoch: Therapiezentrum für Suizidgefährdete will Hintergründe ermitteln und Hilfen entwickeln

Wegen Diabetes zum Arzt zu gehen, ist kein Problem. Diesem über Bluthochdruck zu berichten, ist ebenfalls eine Selbstverständlichkeit. Das Gespräch aber auf psychische Probleme zu lenken, trauen sich viele PatientInnen nicht. Gerade alte Menschen behalten ihre Ängste oder auch Suizidgedanken für sich. Zu groß ist die Angst, als „verrückt“ abgestempelt zu werden oder sogar in der „Klapse“ zu enden, wie man sie aus den 50er Jahren noch kennt. Denn viele, berichtet Reinhard Lindner vom „Therapiezentrum für Suizidgefährdete am UKE“, wissen nicht einmal, dass es Psychotherapie und andere ambulante Angebote für Menschen in Krisen gibt. Das Zentrum will deshalb Hilfen speziell für über 60-jährige suizidgefährdete Menschen entwickeln – und in einem ersten Schritt herausfinden, wie man mit diesen in Kontakt kommen kann. Dafür befragen Fachleute 90 alte Menschen zu ihren Suizidgedanken.

In Hamburg sterben mehr Menschen durch Selbstmord als etwa durch Verkehrsunfälle, Aids oder Drogen. Am höchsten sind die Suizidraten alter Menschen: Über 60-jährige Männer nehmen sich fünfmal so häufig das Leben wie die Durchschnittsbevölkerung, und auch jede zweite suizidale Frau ist älter als 60 Jahre. „Suizidalität“, sagt Lindner, „ist ein Altersproblem“.

Ersten Erkenntnissen zufolge besteht die Hauptrisikogruppe aus einsamen Männern mit Alkoholproblemen. Oft auch liegen Partnerschaftsprobleme den Suizidgedanken zugrunde, „mit 80 Jahren trennt man sich nicht mehr so leicht“. Für andere Ältere schließlich sei es zu belastend, den Partner in die Demenz gehen zu sehen. „Manche Frauen oder Männer sind sehr verzweifelt darüber, wie sich die vertraute Person im hohen Alter verändert“, berichtet Lindner. „Sie können das nicht als Ausdruck einer Krankheit, sondern nur als persönliche Belastung sehen.“

Seit einer ersten Studie aus dem Jahr 2003 wissen die UKE-ForscherInnen, dass viele suizidale Ältere sogar regelmäßig zum Haus- oder Nervenarzt gehen – und trotzdem nicht über ihre Gedanken sprechen. „Sie empfinden diese als Schande und haben Angst, das Wohlwollen ihres Arztes zu verlieren“, sagt Linder. Er weiß von einer Frau, dass sie seit 15 Jahren wegen ihrer Parkinson-Erkrankung zum gleichen Nervenarzt geht – und sich diesem doch nicht anvertraut. Er würde dann denken, äußerte sie gegenüber Linder ihre Sorge, „er hat all die Jahre etwas falsch gemacht“.

Andere Menschen haben in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit ÄrztInnen gemacht und glauben schlicht nicht mehr daran, von diesen Hilfe erwarten zu können. Dennoch haben viele offenbar das Bedürfnis, über ihre Probleme zu sprechen. Bei der vorigen Studie im UKE hätten mehrere ältere Menschen den Wunsch geäußert nach einem „nicht wertenden, unvoreingenommenen Gespräch“ – ohne Auflagen, Krankenversichertenkarte und Überweisungsschein. Sinnvoll könnte deshalb sein, so eine erste Idee der UKE-ForscherInnen für ein altersspezifisches Hilfsangebot, „wenn Psychotherapeuten Sprechstunden im Altersheim anbieten“. ELKE SPANNER

Therapiezentrum: Tel. 428 03-50 45, telefonische Sprechstunde dienstags 9-11 Uhr. Dort auch Anmeldung zur Teilnahme an der Studie