Verachtet, vertrieben, verfolgt

Vor 62 Jahren wurden überall in Bochum Sinti- und Romafamilien in Konzentrationslager verschleppt. Eine Ausstellung dokumentiert die Leidensgeschichten oft vergessener BochumerInnen

von MIRIAM BUNJES

„Das Herumlungern und Betteln der meist sehr unsauberen und oft mit Ungeziefern behafteten Zigeunerkinder übt einen schädlichen Einfluss auf die Schuljugend aus“, schreibt der Rektor einer katholischen Grundschule an die Stadt Bochum.

Es ist Sommer 1930, fünf Sinti-Männer haben bei einem Zimmermann neben der Grundschule Arbeit gefunden. Der will sie samt Familien auf dem Werksgelände wohnen lassen – zum Entsetzen der Nachbarschaft. „Ekelhafte Verunreinigungen“, Prügeleien der Zigeunerkinder“ werden bei der Polizei angezeigt, die den Platz räumen lässt – zu Recht, wie das Oberverwaltungsgericht kurz darauf entscheidet.

Geschichten wie diese waren Alltag in Bochum – auch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. „Auf diesen Rassenhass konnten die Nazis nach 1933 aufbauen“, sagte Lutz Berger von der Vereinigung Verfolgter des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/Bda) am Freitag bei der Eröffnung der Ausstellung „Sinti und Roma in Bochum“.

Auf Bildtafeln hat der antifaschistische Verein Bruchstücke dieser Leidensgeschichte zusammengetragen, aus Zeitungsarchiven, Behördenschriften – und Todeslisten aus den Konzentrationslagern im Osten. Denn die Verfolgungsgeschichte der meisten Bochumer, Wattenscheider und Herner Sinti und Roma endete 1943 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau – zynisch „Familienlager“ genannt. Über 100 Bochumer Tote stehen auf der Auschwitz-Liste, einige haben nicht einmal ihren ersten Geburtstag erlebt. „Am 2. August 1944 werden 1.408 noch arbeitsfähige Sinti und Roma in andere Lager überstellt“ informiert die Bildunterschrift der Todesliste. Auch von ihnen überlebten nur wenige.

In Lagern mussten die Familien größtenteils schon in Bochum leben: Ab 1938 entstanden am Stadtrand so genannten „Zigeunerplätze“, auf denen sie überwacht und kontrolliert wurden und von denen aus später die Deportation organisiert wurde.

Über diese „Zigeunerkolonien“ wurde ausführlich in den Bochumer und Wattenscheider Lokalzeitungen gehetzt – mit ähnlichen Vokabeln wie schon vor der Nazizeit: Arbeitsfaul, schmutzig und gewalttätig sollen die Sinti- und Romafamilien sein.

Deshalb wurden 200 Bochumer Sinti schon im Januar 1938 bei der so genannten Aktion „Arbeitsscheu Reich“ als „Asoziale“ oder „Arbeitscheue“ in Konzentrationslager deportiert.

In der Ausstellung bekommen einige dieser Deportierten Namen. Wie Jakob Bernd, der als „Arbeitscheuer“ von seiner Arbeitsstelle abgeholt wird und vom Lager aus seiner Mutter schreibt: „Gehe doch bitte zu Dora und frage sie, ob sie mich heiraten will.“

Die schwangere Dora antwortet nie, erfahren die Besucher, wahrscheinlich, weil die Heirat von Zigeunern mit Deutschstämmigen inzwischen durch die Nürnberger Rassengesetze verboten wurde. Jakob Bernd stirbt 1940 im Konzentrationslager Mauthausen.

Auch zum Thema „Entschädigung oder Wiedergutmachung“ hat die antifaschistische Vereinigung Trauriges dokumentiert. Diejenigen, die wie Jakob Bernd vor 1943 verhaftet wurden und überlebten, haben keinen Anspruch auf Entschädigung – ebenso wenig wie ihre Nachkommen, können die Besucher in den Briefen des Bochumer Regierungspräsidiums von 1961 nachlesen.

Grund: „Sie wurden aus anderen Gründen als nach ihrer Rasse verhaftet.“ Anderen wurden gesundheitliche und psychische Probleme nicht als „verfolgungsabhängiges Leiden“ anerkannt. Die Ausstellungsmacher kommen deshalb zu dem Schluss: „Zigeuner“ waren und sind bis heute diskriminiert.“

Die Ausstellung befindet sich noch bis zum 19. März in der Christuskirche, An der Christuskirche 1, in 44787 Bochum. Sie ist als Wanderausstellung konzipiert.Gruppenführungen können unter 0234/352215 angemeldet werden.