ausgehen und rumstehen : Der Großonkel aus Prag und Unterhaltung auf dem Lande
Mein Großonkel ist ein in Prag nicht ganz unbekannter Avantgarde-Galerist. Ob er wirklich, wie die Legende besagt, seit seiner Jugend immer denselben schwarzen Anzug trägt, weiß ich nicht. Vielleicht hat er auch viele identische. Leben jedenfalls hat er so viele wie eine Katze. Einmal sagte ihm der Arzt, seine Leberwerte seien nicht mehr messbar, sämtliche Funktionen seien von einer seiner Nieren übernommen worden. Man gab ihm noch ein Jahr. Das war vor siebenundzwanzig Jahren. Gestern kam er mich besuchen. „Jens“, sagte er, „Ich will deine verschissene Stadt gar nicht sehen. Ich komme gerade aus New York und habe genug von Großstädten. Fahr mich aufs Land. Aber ein bisschen was los sollte natürlich schon sein.“ Die Ehre, ein medizinisches Wunder durch den Raum Berlin Brandenburg chauffieren zu dürfen, versüßte das Elend der Abstinenz. Ausflugsziel war das Waschhaus in Potsdam, denn dort sagen sich Fuchs und Hase „Guten Abend“. Nein, Pardon – altgediente wie hoffnungsvolle Talente. In chronologischer Reihenfolge nämlich folgende:
Katze: Klaus Kornfield feierte so um 1990 herum große Erfolge mit seiner Band „Throw that beat in the garbage can“, deren Agenda die Niedlichkeit war. Seitdem hat er sich geweigert, mit seinem Publikum mitzuwachsen. Sein künstlerischer Ausdruck verhält sich zu seinem Körper wie Dorian Gray zu seinem Porträt. „Wie kann man mit vierzig noch diesen infantilen Unfug anbieten“, höre ich von einem Nebenmann. Da braucht wohl mal wieder jemand meine Hilfe: „Eine der Möglichkeiten, die uns die westliche Zivilisation bietet, ist die, sich einfach überhaupt nicht weiterzuentwickeln. Sie anzunehmen kostet viel Energie und ist ebenso heroisch wie Vaterschaft und schwarze Einsicht. Was feiert man denn, wenn man die Reife feiert außer den Schäden, die man nimmt? Möchte man da nicht lieber immer weiter so was hören wie ‚In dem Brief, den du mir gabst, steht nur Scheiß‘ oder ‚Au! Schick mich nach Haus/Denn das Feuerwerk ist aus‘? Doch.
Brockdorf Klanglabor: Zwei Jungs an Rechnern und eine saucoole Frontfrau sind Brockdorf Klanglabor aus Leipzig. Nach einer schlüssigen Dreiviertelstunde abgründig sehnsüchtigen Elektropops stellt sich der liebe Junge mit dem Pullunder als das Enfant terrible der Band heraus. Gothik- und Dance-Hall-Persiflagen („Waschhaus is a good man!“) töten den Ernst und kriegen Applaus. Auch von mir. Der andere Blonde, von kühlem 80er-Schick umwehte kleine Rechnerjunge erwirbt sich erst später meinen vollen Respekt, als er mich mit einer schönen Links-rechts-Kombination beleidigt: „Weißt du eigentlich, dass du da einen ziemlich reifen Pickel hast? Allerdings würde ich da mit den dreckigen Fingernägeln nicht dran gehen.“ Spätestens, als er mir den Pickel dann auch noch ausdrückte, war mir klar: Brockdorf Klanglabor – ein Name, den man sich wird merken müssen.
Knarf Rellöm: Hat sein Bühnenoutfit noch weiter verbessert. Zu dem bereits legendären Fledermauskostüm haben sich große diamantene Clip-Ohrringe und ein schwarzer Fez gesellt. Das Gotische seiner so gebastelten Erscheinung darf uns aber nicht täuschen: Um Todeskult geht es hier kein bisschen. Knarf ist so nekrophob wie Goethe und vielleicht noch in größerem Maße als dieser ein Feind der Romantik. Seine Verkleidung heißt: „Hey, ich bin das Subjekt meiner Geschichte. Klar ist das meine Haarfarbe, die habe ich mir gewählt“, oder, um mal wirklich mit Knarf selbst zu reden: „Wir wollen nicht, dass sich nichts verändert/Change is gonna come now“.
Groß ist Knarf Rellöm als Initiator kollegialer Massenszenen. Alle müssen noch mal auf die Bühne zum Singen, und DJ patex ist noch telegener als im Fernsehen. JENS FRIEBE