piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein Fall von gepflegter Langeweile

Hippen rät ab: Bei „Kommissar Bellamy“ ging Claude Chabrol zu routiniert ans Werk und wird so weder Gérard Depardieu noch George Simenon gerecht

Chabrol stellt seine stilistische Virtuosität hier nur aus und so ist vieles nicht viel mehr als dramaturgischer Leerlauf

VON WILFRIED HIPPEN

In seinem 50. Jahr als Regisseur hat Claude Chabrol zum ersten Mal Gérard Depardieu vor seine Kamera bekommen. Und er hatte eine Inspiration, aus der ein wirklich guter Film hätte werden können: Der zugleich so massig und klug wirkende französische Nationalschauspieler wäre doch eine zugleich sinnfällige und originelle Verkörperung des Kommissar Maigrets von George Simenon. Depardieu, Simenon und Chabrol – soviel geballte gallische Genialität sollte eigentlich ein Meisterwerk garantieren, aber genau darauf hat sich der Regisseur leider zu sehr verlassen.

Das Problem beginnt schon damit, dass er eben keine Vorlage des Maigret-Schöpfers adaptiert hat, sondern statt dessen selber zusammen mit Odile Barski ein Drehbuch à la Simenon verfasst hat.

Aber dies ist ähnlich unklug wie eine Eigenkomposition im Stil vom Mozart oder das Remake eines Fritz Lang Films. Genau diesen Fehler hatte Chabrol schon 1990 mit seiner „Mabuse“- Fortschreibung „Dr. M“ gemacht, einem seiner wenigen, wirklich schlimmen Misserfolge.

Bei „Kommissar Bellamy“ irritiert von der ersten Minute an, dass zwar ein ähnlich lässiger und atmosphärischer Stil wie bei Simenon eingeschlagen wird, die Figuren jedoch nie so komplex lebendig werden wie bei diesem. Anderseits wird da ein angenehmes bourgeoises Leben vorgeführt, das Depardieu in der Rolle des erfolgreichen Kommissars Bellamy auf den Leib geschneidert zu sein scheint. Er lebt bequem im Ruhestand, hat zu zusammen mit seiner Frau für unbestimmte Zeit eine schöne Villa im südfranzösischen Nîmes bezogen, und keines der beiden Dramen, die sich um ihn herum abspielen, kann ihn und damit auch den Film aus der Ruhe bringen.

Gepflegte Langeweile herrscht – daran kann weder der mysteriöse Unbekannte etwas ändern, der an der Haustür des Kommissars auftaucht, noch dessen missratener Halbbruder, der sich bald im Haushalt Bellamy einnistet. Der eine ist in eine hochkomplizierte Kriminalgeschichte verwickelt, der andere entwickelt sich immer mehr zum negativen Spiegelbild des Glückskinds Bellamy, aber beide Geschichten werden mit einem enttäuschenden Desinteresse erzählt. In einer der ersten Szenen löst Bellamy ein Kreuzworträtsel und viel mehr Neugierde bringt er auch für die Rätsel des Kriminalfalls nicht mehr auf. Dass dabei seine Frau Francoise die Lösung weiß und sie dem Meisterdetektiv auch sonst fast immer überlegen bleibt, ist eines jener schönen Motive, von denen der Film eher zu viele als zu wenige hat, die angespielt, aber nicht fortgeführt werden.

So fragt man sich im Laufe des Films immer mehr, warum dies alles erzählt wird. Chabrol stellt seine stilistische Virtuosität hier nur aus, vieles ist nicht viel mehr als dramaturgischer Leerlauf. So spielt etwa Jacques Gamblin eine Dreifachrolle. Er ist zugleich der geheimnisvolle Verdächtige, der selber den Kommissar bittet, ihm zu helfen, der verschwundene Geschäftsmann, der angeblich in einem Autounfall bis zur Unkenntlichkeit verbrannte und der Obdachlose, der vielleicht statt des Versicherungsbetrügers starb. Alle drei sind so glaubwürdig wie ihre offensichtlich angeklebten Bärte und Nasen, denn Chabrol erzählt eher breit als tief – ganz anders als der Minimalist Simenon, der aus diesem Material mindestens drei Romane gezimmert und in jedem die Essenz eines der Protagonisten eingefangen hätte. Chabrol war mit viel weniger zufrieden, aber jetzt hat er ja seinen Depardieu bekommen. Zu hoffen ist nur, dass der 79-Jährige diese Scharte bald auswetzen wird. Wenn dies sein letzter Film bliebe, wäre das fatal.