: Liebe schmeckt im Freien besser
SOMMERTHEATER Open Air – und auch sonst offen für alles: Das Hexenkessel Hoftheater spielt grellbunt und derb mit Geistern und Genderfragen in Shakespeares „Sturm“ und Molières „George Dandin“
VON MARGARETE STOKOWSKI
Wie man sich Geister vorstellt, ist ja eine Frage der Fantasie. Für die billige Version genügt ein weißes Bettlaken mit zwei Löchern. Nicht so bei Jan Zimmermann. Bei ihm hat ein Geist gleich zwei Körper, und die stecken in hautengen Zebrastreifenkostümen und räkeln sich kunstvoll am Trapez: „Wir sind vom Stoff, aus dem die Träume sind!“ Zimmermanns Inszenierung von Shakespeares „Der Sturm“ ist auch sonst nicht das, was man von einem klassischen Stück erwartet: Mit Discokugel und Soundeffekten verwandelt der Regisseur das Hexenkessel Hoftheater in einen surrealen Dschungel aus Licht und Klang. Die Insel, auf der Fürst Prospero und seine Tochter Miranda gestrandet sind, ist düster und nicht gerade gemütlich. Gut, dass Prospero den Luftgeist Ariel als Diener hat.
Ariel, fantastisch dargestellt von Ina Gercke und Jefferson Preto, lässt Prosperos Feinde auf der Insel landen. Diese mischen das Inselleben gründlich auf. Das wilde Durcheinander, das aus Rache, Liebe und Zauberkunst entsteht, wird von Regisseur Zimmermann noch zusätzlich ergänzt: Hier ein bisschen Schwarzlicht, da ein wenig Heavy Metal und dort noch ein halbes Rilke-Gedicht: „Ein jeder Engel ist schrecklich…“ – die Verwirrung ist perfekt.
So entsteht Shakespeares letztes Stück von 1611 ganz neu, wenngleich die Handlung nah am Original bleibt. Die Geschichte, die fünf Jahre vor Shakespeares Tod in London uraufgeführt wurde, ist gewissermaßen ein Pflichtstück für das Hexenkessel-Ensemble: Die Schauspieler um Regisseur Jan Zimmermann bezeichnen sich selbst als unbekehrbare Shakespeareianer. Jedes Jahr inszenieren sie ein Stück ihres Meisters. Seit dem letzten Jahr spielen sie im Amphitheater im Monbijoupark, das in der Sommersaison als Open-Air-Bühne an der Spree steht.
Nicht nur der Spielort, auch die Geschichte des Ensembles ist ungewöhnlich: Vor 15 Jahren wurde das Theater im Hinterhof eines besetzten Hauses in Prenzlauer Berg gegründet. Das Konzept folgt der Spielweise des fahrenden Gauklervolkes. Das kleine Ensemble scheut keine Mühen, klassische Texte so lebendig wie möglich zu gestalten. Die grellbunten, protzigen Kostüme und eine oft verstörende Publikumsnähe verleihen dem Hexenkessel Hoftheater seinen eigenen Charme. Auch die Mischung aus Originaltext, freier Übersetzung und neuer Umgangssprache ist typisch für das Ensemble.
Pointen auf Weinfässern
In „George Dandin oder Der bestürzte Ehemann“ wird viel geschimpft. Molières Komödie aus dem Jahr 1668 wird im Amphitheater als Gastspiel vom Berliner Ensemble „Lazzo Mortale“ aufgeführt. Regisseur Alberto Fortuzzi kommt aus Neapel, lebt aber seit 1986 in Deutschland. Er spielt die Hauptrolle des George Dandin, der im bunten Hosenanzug und Zylinder zur Lachnummer des Abends wird. Dandin ist stinkreich und hat alles erreicht, was sich mit Geld erreichen lässt. Erst vor kurzem hat er sich eine Ehefrau gekauft. Die wird aber von einem jungen Künstler geliebt, mit dem sie eine Affäre beginnt. Als Dandin davon erfährt, stürzt er voller Wut zu seinen Schwiegereltern. Doch niemand glaubt dem Eifersüchtigen. Und der braucht nun für den Spott auch nicht mehr zu sorgen. Die Pointen reihen sich lückenlos aneinander, stilecht begleitet von einem Akkordeonspieler. Die Bühne ist ein schlichtes Podest auf alten Weinfässern. Eine breite Palette an Männer- und Frauenwitzen verleiht dem Stück einen derben, fatalistischen Unterton.
Das Gastspiel von Lazzo Mortale ist Teil des italienischen Theatersommers, der im Hexenkessel Hoftheater die Tradition der Commedia dell’Arte wiederbeleben soll. Die alte italienische Version des Maskenspiels bietet viel Raum für Improvisation. So werden etwa die Szenen von den Schauspielern selbst angesagt. Als das Schicksal zu Dandin singt, schreit er dazwischen: „Schnauze! Halt die Klappe!“ Da hilft es auch nichts, dass zwischendurch ein Yogalehrer auf die Bühne kommt, der Dandins Chakren in Harmonie bringen will. Wie gesagt: viel Raum für Improvisation. Sowohl „Der Sturm“ als auch „George Dandin“ überzeugen nicht nur mit leidenschaftlicher Schauspielkunst. Beide Stücke schaffen es auch, beim Zuschauer eine Mischung aus verzücktem Staunen und Lachtränen zu erzeugen. Bewusst antiintellektuell, aber dafür umso lebhafter vergeht so ein Freiluftabend im Amphitheater. Man kann Miranda nur Recht geben, wenn sie im letzten Akt des „Sturms“ ruft: „Oh Wunder! Was gibt’s für herrliche Geschöpfe hier!“
■ Hexenkessel Hoftheater: „George Dandin“, 18. Juli bis 30. August, „Der Sturm“, 4. Juli bis 5. September