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Archiv-Artikel

„Hallo, liebe Zuschauer, ich bin ein Gefangener des Zweiten Deutschen Fernsehens“

Der Schauspieler Dietmar Bär war in seiner Jugend Sozialist und agitierte vorm Werkstor. Heute ist er Polizist im ARD-„Tatort“. Das heißt nicht, dass er alles mitmacht

INTERVIEW JUTTA HEESS UND PETER UNFRIED

taz: Gut, dass wir keine Talkshow sind, Herr Bär.

Dietmar Bär: Allerdings. Obwohl: Eine taz-Talkshow – hey, da würde sogar ich hingehen.

Warum weigern Sie sich, in TV-Gesprächskreisen aufzutreten?

Ich finde es spannend, dass ich in Ihrer Branche inzwischen als scheues Reh gehandelt werde. Ich habe mir schon als Schauspielschüler vorgenommen, das nicht zu machen – zu einer Zeit, als es nur die guten alten Talkshows auf N3 und Radio Bremen gab.

Dabei bleibt’s?

Ja. Ich bin nicht Talkshow-Gast, sondern Schauspieler. Das eine ist die Manege, also mein Job, das andere ist die Nebenmanege, der Affenzirkus.

Sind solche Auftritte nicht doch vertraglich festgelegt?

Es gibt natürlich Verabredungen im Vertrag, dass man über Werbung spricht, aber das muss doch freiwillig bleiben. Sonst müsste man sich ja dahin setzen und sagen: ‚Hallo, liebe Zuschauer. Ich bin ein Gefangener des Zweiten Deutschen Fernsehens. Ich bin gezwungen, hier bis 21.45 Uhr Rede und Antwort zu stehen.‘ Das kann es doch nicht sein. Jedenfalls solange die NPD nicht 15 Prozent in NRW holt.

Was ist dann?

In diesem Fall müsste man sich schon mal dahin setzen. Aber sonst nicht. Und überhaupt: Müsste Marlene Dietrich heute in eine Talkshow gehen, um zu bestehen? Oder hat nicht das Unnahbare ihren Mythos ausgemacht? Ich habe ein Problem damit, dass man heute überall Superstars, Superstimmen, Supercomedians sucht und da draußen verkauft: Ihr könnt das alle!

Das stimmt nicht?

Ich habe mit 1.100 Mann auf der Schauspielschule für zwölf Studienplätze angestanden. Das tun heute die richtigen Schauspieler immer noch. Allen wird vorgegaukelt, sie könnten überall mitmachen. Selbst beim „ZDF-Sport-Studio“.

Sie sind Fußballfan. Was stört Sie?

Für mich ist das „Sport-Studio“ endgültig untergegangen, seit da ganz profane Zuschauer auf die heilige Torwand schießen dürfen. Das ist wie bei „Deutschland sucht den Superstar“. Das geht nicht. Diese Wand gehört den Besten. Die Sendung ist schwer versaut.

Ist noch was zu retten?

Ich fände es spannend, wenn man daraus eine Fußballfachsendung machen würde. Die „Fußball-Tagesthemen“, bloß im Zweiten. Dazu bräuchte man vor allem gelernte Fußballmoderatoren.

Herr Bär, im WDR-„Tatort“ spielen Sie am Einsatzort Köln den Polizisten Freddy Schenk. Ein unsympathischer Klotz. Oder nicht? Wir sind uns nicht einig.

Mir war es wichtig, dass Schenk kein klarer Sympathieträger ist. Das soll ja nicht „Polizeidirektion unter Palmen“ sein. Wenn die Figur polarisiert, freue ich mich darüber.

Der Mann hat im Beruf häufig nicht akzeptable Umgangsformen und ein total verkorkstes Privatleben.

Das ist das Realistische an der Figur. Als Polizist edel zu sein, wäre vollkommen unrealistisch. Wer täglich im Dreck der Gesellschaft wühlt, tut das nicht, ohne seelisch Schaden zu nehmen.

Warum ist „Tatort“ auch bei der gut ausgebildeten Mittelschicht immer noch so erfolgreich? Spiegelt das die geistige Bequemlichkeit wider?

Ach was. Das sind einfach immer noch gute Bundesliga-Krimis, die wir da machen. Da steckt Zeitkolorit drin. Jedes Land hat eine andere Stimmung. So ein Stuttgarter Bienzle kommt ganz anders daher als ein Münchner, ein Hamburger. Oder anders als wir.

Ist der „Tatort“ der kleinste gemeinsame Nenner, der unsere Gesellschaft zusammenhält?

Nein. Der „Tatort“ ist ein Weltkulturerbe. Das sind 90 werbefreie Minuten, mit guten Regisseuren, guten Kameramännern, guten Schauspielern. Das bekommen die Leute immer noch mit. Man sollte nicht in ein allgemeines Glotze-macht-blöd verfallen. Ich finde es schön, wenn acht plus x Millionen Leute „Tatort“ kucken. Und nicht diese unsäglichen Nachmittags-Talkshows.

Naja.

Nein. Es ist mir peinlich, diesen Leuten zuzuschauen, ich muss das dann schnell wegschalten. Aber es gibt eben Leute, die kucken nur „Unterschichtenfernsehen“.

Das Wort hat Harald Schmidt eingeführt.

Ja, ein ganz heißes Wort. Vielleicht ein Kandidat für das „Wort des Jahres 2005“.

Inwiefern?

Irgendwie hängt das doch alles zusammen: Pisa, Unterschichtenfernsehen und das, was seit Mauerfall auf den Programmplätzen passiert ist – da kommen zuerst RTL und Sat.1 auf der Fernbedienung und dann erst ARD und ZDF. Die Leute kucken sich dumm.

Manchen Leuten geht es schlechter als früher. Sie sind arbeitslos und hängen tagsüber zu Hause rum.

Als ich zum ersten Mal in den Slums von Manila war …

für den berühmt gewordenen „Tatort“ „Manila“ …

… da fragte ich mich: Wo kommt dieses Jammern her bei uns in Europa? Das kann man niemandem erzählen, was dort los ist, da geht es uns doch richtig gut. Andererseits beunruhigt mich dieser Druck da draußen schon, die Fights der Konzerne mit den Gewerkschaften. Ich denke, man müsste den Leuten öfter die Wahrheit sagen.

Was müsste man sagen?

Zum Beispiel: Hey passt auf, es sieht düster aus, wir bauen zwar immer noch Mercedesse und haben Siemens und Bosch, aber wir haben irgendwas verschnarcht. Hier kann in der Schule keiner mehr richtig schreiben und lesen.

So was wünschen Sie sich?

Ja, das wünsche ich mir. Aber der einzige Politiker, der damals gesagt hat: Leute, seid vorsichtig, der war danach ein Verräter. Oskar Lafontaine.

Sie waren in Ihrer Jugend Kommunist.

Ich war in der SDAJ.

Der Sozialistischen Deutschen Arbeiter-Jugend.

Als Oberstufenschüler hat man gedacht, man sei ja viel schlauer als die anderen und könnte denen helfen. Aber man kam da gar nicht durch. Man konnte den relativ einfachen Leuten diese Ideen gar nicht vermitteln. Es hat mich damals umgehauen, als ich gemerkt habe, ich komme an die gar nicht ran.

Die Erkenntnis von 1968: Nie, nie werden die Studierenden die Arbeiter für deren Sache mobilisieren können.

Wir haben damals morgens vor den Hoesch-Toren gestanden und SDAJ-Blättchen verteilt. Dafür hat sich keiner interessiert. Nein, es geht nicht. Man kann nicht alle schlau machen, das habe ich damals nicht verstanden.

Was dachten Sie?

Ich habe gedacht, man hält sie dumm. Da sind wir wieder beim Unterschichtenfernsehen. Die Leute, die in den Nachmittags-Talkshows sind, und die Leute, die das kucken: Die sind so. Die leben in diesen Welten. Du hast mit meinem Freund gefickt, da will ich hier jetzt mal bei Bärbel Schäfer drüber reden. Das ist deren Lebensinhalt, nicht die Wale, das Dioxin oder der saure Regen.

Deprimiert Sie das?

Nein. Nicht mehr. Wenn man das verstanden hat, ist man ein bisschen ruhiger. In meiner Jugend konnte ich allerdings darüber verzweifeln.

Wie kamen Sie zum Sozialismus?

Ich war damals das, was man politisch engagiert nennt. Ich bin in die SDAJ eingetreten. Die war sehr DDR-orientiert und DDR-finanziert sowieso. Durch mein SDAJ-Engagement war ich auch einmal Gast der FDJ in Halle/Saale. Aber ich hatte auch den anderen Blick, weil mein Vater aus der DDR kam. Und wir jeden Sommer die Großeltern besuchten.

Was war das Problem?

Sobald man bei den Gruppenabenden als scheinbar cooler westdeutscher Linker über Reisefreiheit oder Wehrdienstverweigerung reden wollte, wurde es immer schräg und verschroben, und da endete auch meine Sympathie. Und dass sie bei den Gruppenabenden über Frank Zappa immer noch so redeten wie Ulbricht über schlimme Rockmusik aus dem Westen – irgendwas stimmte da nicht. Da war meine Liebe auch schon wieder erloschen. Und der Traum von sozialer Gerechtigkeit …

Daran glaubten Sie?

Ja. Aber die Ungerechtigkeit, dass Arbeiter sehr wenig verdienen und Fabrikanten ganz, ganz viel, ist nicht mehr so einfach ausräumen. Aber ich kann immer noch so eine Sehnsucht in Richtung dieser Kids aus dem Kinofilm „Die fetten Jahre sind vorbei“ entwickeln, weil ich diese Wut immer noch verstehen kann.

Heute verkörpern Sie einen Polizisten.

Ja. Stimmt schon: Früher zu meiner Sturm-und-Drang-Zeit waren Polizisten unerfreuliche Figuren. Ein richtig guter Freund von mir ging zur Polizeischule in Bochum, das war damals ein heiß diskutierter Freundschaftskonflikt. Aber mittlerweile habe ich da 7 Jahre Einblick, mein Bild hat sich sehr verändert.

Sie haben zwei Mercedes.

Ja, Mercedes, ein tolles Auto. Jeder sollte einen Mercedes fahren.

Sie sind in der kapitalistischen Gesellschaft angekommen.

Finden Sie? Vieles ist nach wie vor unvorstellbar für mich. Etwa, das Kreuz bei einer Wahl an der Stelle zu machen, an der es der angekommene 68er in „Die fetten Jahre“ macht.

Sie meinen bei der CDU. Ist Schwarz-Grün eine Option für Sie?

Ich glaube, die Farbenlehre gilt schon lange nicht mehr. Man muss kucken, wo man die vernünftigen Leute bündelt.

Sind Sie in Berlin wahlberechtigt oder zu Hause in Dortmund?

In Berlin natürlich. Ich lebe hier seit zehn Jahren. Manche Leute in NRW sagen zu mir: Ihr werdet von Schwulen und Kommunisten regiert. Das ist interessant, dass das hier in dieser Hauptstadt so piepsnormal ist, und man geht 600 Kilometer runter und erlebt diese dreckige Nummer mit der Schavan.

Die baden-württembergische Ex-Ministerpräsidentinnen-Kandidatin.

Da heißt es: Ja, wieso ist die denn ohne Mann und ohne Kinder? Ja, bin ich denn hier in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts? Das ist doch das Ekligste überhaupt an dieser Gesellschaft.