: „Die Popliteratur wurde sehr stark gehypt“
Annette Mingels, Jahrgang 1971, ist eine von sechs jungen AutorInnen, die sich heute Abend anlässlich der lit.Cologne im Kölner Cleanicum präsentieren. In Mingels zweitem Roman „Die Liebe der Matrosen“ geht es um vier Personen und ihre miteinander verwobenen Lebens- und Liebesgeschichten
Interview Oliver Minck
Frau Mingels, in Ihrem Roman erzählen Sie eine Geschichte aus vier Perspektiven. Was hat Sie daran gereizt?
Annette Mingels: Mich interessiert die Subjektivität der Wahrnehmung von Wirklichkeit. Mich hat es gereizt, Figuren aus verschiedenen Perspektiven darzustellen und sie dadurch nicht nur einseitig positiv oder negativ erscheinen zu lassen. Mir ging es um eine Ansammlung von subjektiven Positionen, mit der Aussage, dass es eine überindividuelle und umfassende Objektivität letztendlich nicht gibt.
Sind Ihnen denn alle erzählerischen Perspektiven leicht von der Hand gegangen?
Die Perspektiven der jungen Frauen lagen mir natürlich näher. In Georgs männliche Perspektive musste ich mich schon sehr hineindenken. Deswegen freu ich mich immer sehr, wenn ich von einem Mann höre, er fände Georg besonders gelungen.
Sie benutzen eine ziemlich klare, nüchterne Sprache. Hat das die Arbeit erleichtert?
Ich wollte schon, dass sich die Figuren in ihrer Sprache unterscheiden, aber nicht so, dass es am Ende wirkt wie eine Karikatur, dass die eine stottert und der andere die ganze Zeit Schimpfwörter benutzt.
In der Ankündigung zur Veranstaltung im Cleanicum ist zu lesen, dass es bei allen sechs Autoren um den Wunsch nach Veränderung geht: Flucht, Umsturz, Neuanfang.
Vielleicht sind das eben gerade die interessanten Themen der Literatur, vor allem für Menschen in unserem Alter.
“Wie Neu“ ist die einzige Nachwuchsveranstaltung im Rahmen der lit.Cologne. Sehen Sie junge Autoren da unterrepräsentiert?
Eigentlich nicht. Es bekommt auch schnell etwas Inflationäres, wenn man ganz speziell auf Nachwuchsförderung abzielt. So finde ich es schön und spannend, auch dass da sechs Leute zusammenkommen.
Wie ist derzeit die Situation für neue Autoren? Ist es schwierig, sich Gehör zu verschaffen?
Es ist ein Roulettespiel. Man kann einfach sein Bestes geben – und dann hoffen, dass es bei einem Verlag und bei Kritikern und Lesern eine gute Aufnahme findet. Nicht immer durchschaut man so ganz alle Mechanismen der Rezeption und Wertung.
Während des Booms der Popliteratur Ende der 90er Jahre waren Nachwuchsschriftsteller deutlich jünger als heute. Ist da eine neue Seriosität auszumachen?
Seriosität, ich weiß nicht. Es sollte weiterhin Raum da sein für Humor und eine gewisse Leichtigkeit. Die Popliteratur wurde eben zum Teil sehr stark gehypt. Eine Zeit lang waren die jungen Autoren wirklich alle Anfang 20, heute hat sich das eher so bei Ende 20, Anfang 30 eingependelt.
Sie sind in Köln geboren. Haben sie noch einen großen Bezug zur Stadt?
Köln ist meine mentale Heimat, obwohl ich hier nur geboren bin und zwischendurch mal ein Jahr lang studiert habe. Meine Tanten und Onkel wohnen noch hier, und auch meine Eltern halten an Köln fest, obwohl sie schon lange in Frankfurt wohnen. Immer wenn ich nach Köln komme, habe ich den Eindruck: „Ach, alles wunderbar!“ Ich hör sogar den Dialekt gerne.
Heute, 20 Uhr: „Wie neu!“ (Svenja Leiber, Sünje Lewejohann, Bernhard Keller, Annette Mingels, Tilman Rammstedt, Silke Scheuermann), Cleanicum, Brüsseler Str. 74-76 Buch: Annette Mingels, Die Liebe der Matrosen, Dumont, ca. 350 Seiten