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Archiv-Artikel

Polizisten machen Sozialarbeit

Mit einem Frühinterventionsprogramm will die Polizei verhindern, dass kriminelle Kinder zu Intensivtätern werden. Besonders häufig betroffen: Jungen mit Migrationshintergrund

VON PLUTONIA PLARRE

Die Kriminalitätsprävention bei jungen Menschen ist für ihn ein zentrales Anliegen. Das hat Polizeipräsident Dieter Glietsch erst unlängst wieder im Innenausschuss mit Blick auf die große Anzahl jugendlicher Gewalttäter mit Migrationshintergrund betont. Dieser Ankündigung lässt das Landeskriminalamt nun Taten folgen: „Coole Kids starten durch“ heißt das in der Bundesrepublik bislang einmalige Polizeiprojekt, das nach den Sommerferien starten soll. Zielgruppe sind strafunmündige Kinder im Alter von 12 bis 14 Jahren aus schwierigen sozialen Verhältnissen, die auf dem Weg sind, eine kriminelle Karriere einzuschlagen. „Wir wollen verhindern, dass sich Ersttäter zu Intensivtäter entwickeln“, sagt die Leiterin der polizeilichen Zentralstelle für Prävention, Susanne Bauer.

„Coole Kids starten durch“ –mit diesem Vorhaben begibt sich die Polizei auf ein Feld, das bislang der Jugendhilfe und der Sozialarbeit vorbehalten war. Polizisten werden zu Verhaltenstrainern und Gruppenbetreuern weitergebildet. Sie bieten dann „soziale Trainingskurse“ für jeweils bis zu zehn Kindern an. Die Kurse sollen ein halbes Jahr lang einmal wöchentlich stattfinden, außerdem sind Sport- und Freizeitangebote geplant. Besuche von Jugendeinrichtungen im Kiez stehen ebenso auf dem Programm wie Infoveranstaltungen zu Rechtsfragen und Antigewalttraining. Durch ganz einfache Dinge wie gemeinsames Kochen, Essen und Abwaschen, die für die Zielgruppe aber keineswegs selbstverständlich sind, soll das Leben der Kinder eine Struktur bekommen, sagt Kriminaloberkommissarin Jutta von Döllen, Initiatorin des Projekts.

Damit das Projekt nach den Sommerferien mit zwei Pilotkursen starten kann, müssen 20 Kinder mit dem fraglichen biografischen Profil gefunden werden. Dass es diese Kinder gibt, daran hat von Döllen keinen Zweifel. Allein im vergangenen Jahr sind in der Stadt 5.358 Tatverdächtige im Alter von 8 bis 14 Jahren registriert worden. Ihre Straftaten reichen vom Diebstahl bis zum schweren Raub. Bis zum vollendeten 14. Lebensjahr ist ein Kind strafunmündig. Das heißt, es kann für seine Taten nicht belangt werden.

Die Kriminalität von Kindern und Jugendlichen, so die Erfahrung von Experten, bleibt in 95 Prozent der Fälle eine Episode, die von allein vorübergeht. Anders bei den restlichen 5 Prozent, die als Mehrfach- oder Intensivtäter unter besonderer Polizeibeobachtung stehen. Als Intensivtäter gilt, wer innerhalb von zwölf Monaten zehn Straftaten begeht, von denen mindestens eine Tat eine sechsmonatige Jugendstrafe nach sich ziehen würde, wenn der Delinquent strafmündig wäre.

Laut von Döllen werden von der Polizei zurzeit rund 50 Kinder als Intensivtäter geführt. Diese Gruppe aber will sie mit dem Projekt „Coole Kids starten durch“ nicht ansprechen. Adressaten seien vielmehr Kinder, bei denen das Zusammenkommen mehrerer Faktoren befürchten lasse, dass sie zu Intensivtätern werden. Kinder, die aus zerrütteten Familienverhältnissen kommen, die nie ein eigenes Zimmer hatten, die verwahrlost sind, die Schule schwänzen, auf Trebe gehen und klauen müssen, um sich über Wasser zu halten. Und noch eines, so von Döllen, ist diesen Kindern gemeinsam: In der absoluten Mehrzahl sind es Jungen mit Migrationshintergrund.

„Das ist ein ungewöhnlicher Ansatz“, gibt die Kriminaloberkommissarin zu. „Wir stehen noch ganz am Anfang.“ Die Abgleichung von Daten der Vermisstenstelle der Polizei und der Schulverwaltung soll helfen, an Namen von möglichen Kandidaten zu kommen. Auch die Polizeiabschnitte, wo aufgegriffene Trebegänger im Funkwagen laden, sollen einbezogen werden.

Selbst wenn die Kinder aus dem Projekt nur die Information mitnähmen, wie man seine Freizeit im Kiez auch ohne Geld – also ohne Straftaten – durch Wahrnehmung kostenloser Angebote der Jugendhilfe verbringen kann, wäre schon etwas gewonnen, meint von Döllen. Noch besser wäre natürlich, wenn das Kind nach dem Kurs bereit sei, sich weiterbetreuen zu lassen. Wem aber das Gequatsche zu viel wird, der kann wieder gehen. Die Teilnahme an dem Projekt ist absolut freiwillig.