: Der Weg nach innen
Individuelle Forschung, die sich an den rituellen Elementen des traditionellen Tanzes reibt: Die Compagnie Salia nï Seydou beschloss mit „Figninto, the torn eye“ das Festival Polyzentral
von Marga Wolff
Der Ruf der begnadeten Tänzer eilt ihnen voraus. Als solche hatten Seydou Boro und Salia Sanou bereits in der Compagnie der französischen Choreographin Mathilde Monnier auf sich aufmerksam gemacht. Mit ihrer Rückkehr nach Burkina Faso und der Gründung der eigenen Compagnie Salia nï Seydou ließ auch der choreographische Erfolg nicht lange auf sich warten.
Darüber hinaus haben sich Boro und Sanou als Wegbereiter, Mentoren und Lehrer bewährt. Ihr vor kurzem in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou eröffnetes Tanzzentrum ist im Begriff, sich zu einem Knotenpunkt für den äußerst lebendigen zeitgenössischen Tanz in Afrika zu entwickeln, auf den sich auch der Blick aus dem Ausland richtet. Das kleine, feine Festival Polyzentral auf Kampnagel hatte zu seinem Abschluss die Stars des neuen afrikanischen Tanzes mit ihrem Klassiker „Figninto, the torn eye“ zu Gast.
Die Compagnie Salia nï Seydou hatte 1997 gleich mit ihrer ersten Produktion einen Welterfolg gelandet. Seither tourt das Stück für drei Tänzer und zwei Musiker international und sorgt nach wie vor für Begeisterung. In Hamburg wurde die Aufführung jetzt zu einer umso interessanteren Begegnung, nachdem man die Compagnie hier bereits mit jüngeren Stücken gesehen haben kann.
„Figninto“ bedeutet so viel wie „blinder Mann“ und beschreibt zugleich einen Weg, der nach innen schaut, in die Tiefe, um dabei das Wesentliche zu erkennen. Die Musiker knüpfen mit ihren traditionellen Instrumenten und ebensolcher Kleidung an afrikanisches Erbe an. Im warmen Lichtschein umhergetragener Laternen zeigen sie, wie einfach und wirkungsvoll sich Stimmungen erzeugen lassen. Spielerisch erkunden die Tänzer verschiedene Bewegungsansätze im Tanz, kosten den Widerstand des Bodens aus, schlagen hart auf, tauchen in die Erde hinein und schnellen aus dem Liegen mit gespannter Kraft urplötzlich nach oben. Die Breakdancer, die am selben Abend nebenan auf Kampnagel ihr Battle ausfochten, wären vor Neid und Hochachtung möglicherweise erblasst.
Ohnehin beschränkt sich der Tanz von Salia Sanou, Seydou Boro und, als drittem Mitstreiter, Ousseni Sako nicht darauf, fertige Muster abzurufen. Er gleicht eher einer individuellen Forschung, die sich an den rituellen Elementen ihres traditionellen Tanzes reibt. Tempo, Energie und expressive Physis verschmelzen zu einer faszinierenden Bewegungssprache, deren innere Kreativität keine Grenzen zu kennen scheint. Und deren Wirkung ihre Schöpfer genau einzuschätzen wissen – und gekonnt ausspielen. Über weite Strecken schweigen dann die Instrumente, bahnen sich die Tänzer ihren Weg durch die Stille.
Schließlich finden alle wieder zusammen in einer jener afrikanischen Traditionen, in der Klang, Rhythmus und Bewegung eins werden, sie stampfen mit den Füßen und schnalzen mit der Zunge: Bewegungsmotive, von denen sich viele wiederfinden lassen sich in späteren Stücken der Compagnie. Der unverkennbare Stil, hier noch in einer recht rohen choreographischen Sprache, ist schon deutlich ausgeprägt.
Das Festival Polyzentral, das sich in diesem Jahr auf den Tanz vor allem aus Afrika konzentriert hat, konnte einmal mehr mit der einen oder anderen Entdeckung im Programm überraschen. Im nächsten Jahr, soviel hat der Kurator Honne Dohrmann schonmal verraten, wird dann das Theater aus Osteuropa im Mittelpunkt stehen.