: Die Braut im Stacheldraht
Hochzeitsvorbereitungen auf dem Niemandslande der Golanhöhen: Eran Riklis’ Film „Die syrische Braut“
Gern begibt sich das Kino in den Trubel von Hochzeitsvorbereitungen. Genussvoll schaut die Kamera zu, wie Fassaden einstürzen, Selbsteinschätzungen zerbröseln, das Bild der glücklich vereinten Familie unter dem Harmonisierungsdruck umkippt. Der Hochzeitsfilm hat die Aufgabe, sich seismografisch durch die Fiktionen einer Familie zu ihrem wirklichen Gefühlsschlamassel vorzuarbeiten.
Eran Riklis' Film „Die syrische Braut“ ist bei dieser Expedition ins Innere einer Familie zunächst mit dem Abbau stark verkrusteter Schichten beschäftigt. Die sind durch ein den Traditionen unterworfenes Zusammenleben, aber auch durch die politischen Verhältnisse entstanden. Der Clan lebt auf der von Israelis besetzten Golanhöhen und gehört zu den Drusen, einer islamischen Religionsgemeinschaft. Durch ihre syrische Abstammung fühlen sich gerade die Älteren dem Land verbunden. Selbst am Tag der Hochzeit lässt sich der Patriarch und Brautvater Hammed nicht davon abbringen, an einer Demonstration gegen die israelische Besatzungspolitik teilzunehmen und Syriens neuen Staatschef Baschar al-Assad zu ehren. Die jüngste Tochter Mona soll nach Damaskus verheiratet werden, ihren zukünftigen Mann Tallel kennt sie nur aus dem syrischen Fernsehen, wo er ein Soap-Opera-Star ist. Einer solchen Vorabendserie könnte der Sohn Marwan entsprungen sein, ein selbst ernannter Frauenheld und Großkotz, der sich mit dubiosen Geschäften über Wasser hält. Auch der älteste Sohn Hattem reist mit seiner russischen Frau und dem kleinen Sohn aus der Ferne an.
Zügig, im Stil einer Pilotsendung für eine TV-Serie, führt Riklis in die Figuren- und Konfliktsituationen ein, lässt im Sekundentakt politische Ideologien auf private Bedürfnisse, Tradition auf Selbstbestimmung treffen. „Die syrische Braut“ ist eine manchmal allzu pralle Phänomenologie der politischen, ethnischen und kulturellen Konstellationen auf den Golanhöhen. Streng werden die Hochzeitsfeierlichkeiten vom langbärtigen und merkwürdig gekleideten Ältestenrat überwacht. Hattem, der sich nicht mit einer ortsansässigen Drusin verheiratet hat, wurde längst von der Gemeinschaft ausgestoßen. Auch seine ältere Schwester Amal begehrt auf, ihre Ehe empfindet sie als Zweckgemeinschaft, bei der sie nur die Schürze zu tragen hat. Da ihre beiden Töchter selbstständig genug sind, beschließt sie, in Tel Aviv Sozialpädagogik zu studieren. Ein Schritt, der für den Gatten den Verlust seiner männlichen Ehre darstellt. Überhaupt scheint die resolute Amal seit langem die Zügel in der Hand zu halten. Ganz allmählich offenbart der Film sie als Herrin der Lage und entwickelt dabei eine schöne Utopie der Gleichberechtigung in einer von Schnauzbärten dominierten Gesellschaft.
Nur die Braut Mona bleibt der weiße Fleck in diesem Film. Was sie bewegt und beschäftigt, scheint seltsamerweise kaum zu interessieren, stattdessen verweilt die Kamera auf ihrem wunderschönen Gesicht und dem wunderschönen Brautkleid. Stundenlang sitzt Mona mit immer gleichem Gesicht auf einem Stühlchen im von Stacheldraht umzäunten Niemandsland zwischen Israel und Syrien. An diesem unwirklichen Ort nimmt die verquere Politik im Mittleren Osten groteske Züge an. Denn mit ihrer Einreise nach Syrien verliert Mona auf Lebzeiten das Recht, israelisches Territorium zu betreten. In „Die syrische Braut“ wird die Hochzeit zum Abschiedsfest. ANKE LEWEKE
„Die syrische Braut“. Regie: Eran Riklis. Mit Clara Khoury, Hiam Abbass u. a. Frankreich/Deutschland/Israel 2004, 97 Min.