: Zeit, an die Reserven zu gehen
Fasten, das ist wie eine körperliche und seelische Grundreinigung. Eine spirituelle Methode, die alle Frühjahre wieder Konjunktur hat – und längst zum lukrativen Geschäft für die Industrie geworden ist. Drei freiwillige Hungerleider erzählen über ihre Freuden am Verzicht und ihr Leiden an der EntbehrungVON JULIANE GRINGER
Fastenwandern auf Korsika: 555 Euro die Woche. Colon-Hydro-Therapie zur vorbereitenden Darmreinigung: 45 Euro in der Gesundheitspraxis. Biotta Bio Fastensaft: 1,96 Euro. Molke Drink Megamax Zitrone (Pulver, 700 Gramm): 11,40 Euro
Wenn in der zweiten Januarwoche die Frauenzeitschrift Brigitte (2,20 Euro) mit ihrer „Brigitte-Diät“ aufmacht, verkauft sie über 100.000 Hefte mehr als sonst. Auch für Bild der Frau (85 Cent), die jeden Montag nichts Besseres zu vermelden hat als die „5-Pfund-in-5-Tagen-Power-Milch-Diät“ oder die „Bauch-weg-in-10-Tagen-Diät“, ist das Frühjahrsquartal das erfolgreichste. Im Jahr 2004 griffen von Januar bis März durchschnittlich fast anderthalb Millionen Frauen zu, von Oktober von Dezember waren es fast 200.000 weniger.
Aus dem spirituellen Verzicht ist ein Markt geworden. Fasten kann kosten. Und aus dem ursprünglich religiösen Ansatz, durch Askese die Seele reinigen, Buße tun und Erleuchtung finden zu wollen, macht die Industrie gerne das Streben nach einem schlanken Körper. Da werden Molkedrinks vertickt, der Umsatz von Diätbüchern (die Publikationen kommen auffallend häufig im Januar oder Februar heraus) steigt stetig.
„Mega-fit mit der Fastenwoche“: 5,90 Euro. „Richtig essen nach dem Fasten“: 12,90 Euro. Weight Watchers Fernprogramm (Basis-Set inkl. Einkaufsführer): 89 Euro. Slim Fast Drink Pulver Schoko Royale , 450 g: 11,76 Euro. Multivitaminpräparat (100 Kapseln) 30,98 Euro
Wenn es ein Patent gäbe auf spirituelle Reinigungsmethoden, dann wären die Religionen weltweit als Experten des Fastens fein raus. In Deutschland versuchen die Kirchen nun mit ihrer Kernkompetenz, auf der Diät- und Wellness-Welle mitzureiten: Sie predigen „sanften Verzicht“. Die Aktion „Sieben Wochen ohne“ der Evangelischen Kirche versorgt jährlich etwa 30.000 Anhänger mit einem Kalender (7,50 Euro), der mit Texten, Gedichten und Bildern dazu ermutigen soll „Hoffnung zu schöpfen und neue Perspektiven zu entwickeln“. Neben dieser angestrebten geistigen Ernüchterung geht es besonders den Genussmitteln in den „Leidenswochen“ nach Aschermittwoch an den Kragen: Kaffee, Zigaretten, Alkohol.
In Karlsruhe werden die Bürger sogar zu einer Autodiät eingeladen, zu der die Kirche aufgerufen haben. Weniger Auto fahren: Gut für die Umwelt. Und gut für den Karlsruher Verkehrsverbund (KVV), der in dieser Zeit eine besonders günstige Monatskarte offeriert. Die darf kaufen, wer ein kleines Tagebuch über sein Verkehrsverhalten führt. Die Nachfrage aber sei bisher „noch zurückhaltend“, so ein KVV-Sprecher.
1 Woche Fasten mit Yoga, Meditation und leichten Wanderungen: ab 251 Euro. Basische Strümpfe: 29,75 Euro. Buchinger-Kur: 14 Tage 1.510 Euro, Verlängerungswoche 707 Euro. Fastentee, 50 Gramm-Packung: 3,40 Euro im Bioladen
Es wird uns diktiert, dass und wie wir Verzicht üben sollen. Und welche Produkte uns dabei helfen. Anleitung ist sinnvoll, wenn sie, wie beim Heilfasten, von einem Arzt kommt. Andere Ratgeber verkaufen uns den (seltenen) Verzicht lieber als (knappen) Luxus. Dabei bedeutet Fasten eigentlich „Festhalten“, an Regeln. Die Regel zum Beispiel, keine feste Nahrung zu sich zu nehmen in den sieben Wochen der Passionszeit, die an diesem Ostersonntag zu Ende geht. Es ist eine simple, aber wirksame Regel. Gute Vorsätze und Trinkwasser genügen schon, um sie zu befolgen. Der Verzicht auf Nahrung mündet in einen nüchternen Gemütszustand, der neue Kontrolle über Körper und Geist verspricht. Billig zu haben, eigentlich. Gratis, im Prinzip. Kostenlos, fast.
1 Flasche Mineralwasser (0,7 Liter): 0,79 Euro
PETER BECKER, 55, fastet, weil er „nicht so in die Tage hineinleben“ möchte.
Bewusst gelebt habe er schon immer, sagt er. Erstmals fastet er 1996, zur Premiere verzichtet er auf Kaffee, „was sich alle halt so vornehmen, nicht mehr Rauchen, abnehmen, gemäßigt Kaffee trinken“. Vorher habe er jedenfalls sehr viel Kaffee getrunken und gleich am ersten Tag ohne bekam er arge Kopfschmerzen: „Das hat mich amüsiert, denn dieses Leiden, das war so ein religiöses Gefühl.“
Im nächsten Jahr war es dann schon komplizierter. Alles, was Kakao und Schokolade enthielt – „Sie glauben gar nicht, wo das überall drinsteckt!“ –, stand auf dem persönlichen Index des Informatikers: „Das war stressig, ich musste die Inhaltsstofflisten lesen wie ein Allergiker.“
Peter Becker fastet, um regelmäßig zu überprüfen, welche Gewohnheiten sich eingefahren haben – und korrigiert. Mitstreiter sucht und findet er bei den Treffen einer lokalen Gruppe der Aktion „7 Wochen ohne“ der Evangelischen Kirche. „Da kann man sich gegenseitig Denkanstöße geben, es geht ja um mehr als nur um Verzichten.“ Das Erfolgserlebnis ergibt sich aus dem Gefühl der gelungenen Beherrschung. „Ich bin ein Dickschädel, wenn ich einmal etwas angefangen habe, dann halte ich auch durch.“
In diesem Jahr achtet er auf Essen und Sport. Das Erste weniger, das Zweite mehr: „Mittags gibt es keinen Nachschlag und abends nur belegte Brote.“ Das sei dann „ein interessantes Gefühl“, wenn die Familie am Tisch bei Wiener mit Senf und Pommes frites ordentlich reinhaut. Beim Sport hat er sich gesteigert, schafft statt dreimal 4 Kilometer durch den Wald jetzt dreimal 9,3 Kilometer. „Drei Kilogramm sind schon runter.“ JGR
CARLA BENZ, 37, will abnehmen und sagt statt Fasten einfach „Spiel“, weil es so einfacher klingt. Dass gefastet wird, das kennt ihre Familie schon. Aber wie jedes Jahr weigern sich Freund und Kinder, mitzumachen. „Dabei ist es doch ganz einfach“, sagt Carla Benz: „Einfach mal sieben Wochen etwas lassen – das kann man auch von Kindern fordern.“
Die Job-Agentin spielt das Fastenspiel nun schon im dritten Jahr. Sie nennt es „Spiel“, weil es dann nach Kurzweil und Wohlfühlfaktor klingt. Im ersten Jahr waren es Alkohol und Koffein, auf die sie verzichtete. Am ersten Tag, dem Aschermittwoch, musste sie damals ihre Verabredung nach Dienstschluss absagen – der Koffeinverzicht hatte ihr einen schönen Entzugskopfschmerz eingetragen. Aber schon nach 24 Stunden „ist der Körper runter vom Koffein“, erklärt sie.
Trotzdem denkt sie nicht gern an ihre erste Fastenzeit zurück. Denn sie kaufte sich Substitute: alkoholfreies Bier, koffeinfreien Kaffee. „Mein Freund hat sich weggelacht und das auch im Freundeskreis wie einen besonders guten Witz erzählt.“ Aber schon sieben Wochen später wog sie vier Kilo weniger.
Im zweiten Jahr spielte sie das Zuckerspiel: sieben Wochen nichts Süßes. Kein Zucker im Kaffee, kein Obst, kein Saft, kein Kuchen. „Es geht nicht so sehr um den Zucker“, sagt Carla Benz. „Es geht um ‚nichts Süßes‘, gerade nach Weihnachten.“ Dazu gehört sogar Kaugummi.
Weil es im letzten Jahr so gut geklappt hat – zuverlässig vier Kilo – ist nun wieder der Zucker verboten. „Es fällt leicht, eigentlich zu leicht“, sagt sie. Sie hat gerade etwas über Fernsehkonsum gelesen, über den Lebenszeitfresser im Wohnzimmer. Der soll nächstes Jahr ausziehen für sieben Wochen. Spätestens dann müsste ihre Familie doch mitmachen. AM
CORNELIA GEISSLER, 51, hungert, um sich einen bewusst verantwortlichen Umgang mit Ressourcen anzutrainieren.
Das Glas Wein am Abend fällt sieben Wochen aus für Cornelia Geißler. „Das war immer ein Ritual, da hatte man etwas, worauf man sich freut.“ Den Rausch des Rauschgetränks versagt sie sich nun. Sie will bewusst von Gewohnheiten Abstand nehmen, sich selbst zu disziplinieren. Seit ein paar Jahren nutzt sie dafür das Fasten, das Vorhaben hat sich nach und nach eingeschlichen.
Vergangenes Jahr hörte die Lehrerin aus Hilden auf zu rauchen, vor drei Jahren fastete sie Energie – sie versuchte, das Auto nicht zu benutzen und so wenig wie möglich Elektrizität daheim. „Das mit dem Auto ist zur Gewohnheit geworden“, so die 51-Jährige.
Politisch und religiös verantwortlich mit Ressourcen will sie umgehen. „Für mich hat Fasten eine starke religiöse Bedeutung. Ich sehe es aber auch als Protest gegen die Zwänge dieser Welt, ausgelöst beispielsweise durch Großkonzerne.“
Auch ihren Schülern hat die Lehrerin für Deutsch und evangelische Religion das Thema Fasten näher gebracht. „Wir haben die zwei Phasen des Fastens – die Zeit vor Weihnachten und vor Ostern – im Unterricht begleitet.“ Die Jugendlichen überlegten, jeder für sich, Dinge, auf die sie verzichten wollten: „Sie waren sehr interessiert und neugierig.“ Am Ende stellte ihnen Cornelia Geißler ein symbolisches Zertifikat aus.
Ostern, das bedeutet für Cornelia Geißler auch: Kirche. Sie geht am Ostermorgen zu einem Frühstück in ihrer Gemeinde, das schon um sechs Uhr beginnt. Mit diesem Datum ist für sie die „aktive, nachdenkliche Zeit formal abgeschlossen“. Danach übertreibt sie nicht, schlägt auch nicht wieder voll zu. Aber etwas mehr Genuss darf schon wieder sein. JGR