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Harry und der Hummer

Der Übersetzer und Fernseh-Penner aus der „Lindenstraße“, Harry Rowohlt, wird morgen 60 Jahre alt. Die Wahrheit gratuliert mit einer harryesken Anekdote

Anna Mikula, damals Kulturchefin der inzwischen verstorbenen Zeitung Die Woche, hatte uns in Hamburg zum Essen eingeladen. Harry Rowohlt und ich sollten das Restaurant aussuchen. Da Harry im Gegensatz zu mir Hamburger ist, aber glücklicherweise keine Hamburger isst, überließ ich ihm die Wahl. „Wenn man uns schon mal eine warme Mahlzeit spendiert, gehen wir ins ‚Kennebunkport‘ “, entschied Harry. „In diesen piekfeinen Laden kämen wir sonst nie rein.“

Das Restaurant, das ebenso wie Die Woche längst verstorben ist, lag an der Außenalster. Wir erschienen unangemeldet. Ob denn noch ein Tisch frei sei, fragte Anna, und fünf Kellner brachen in schallendes Gelächter aus. „Im ‚Kennebunkport‘ ist immer ein Tisch frei“, sagte einer der Kellner, nachdem er sich beruhigt hatte. Ein anderer fügte hinzu: „Im ‚Kennebunkport‘ sind stets alle Tische frei.“

Außer uns und den fünf Kellner gab es noch eine Sängerin und einen Pianisten. Sie stimmten freudig den Gospel „When the saints come marching in“ an, während wir unsere Plätze einnahmen. Offenbar war das Musikprogramm auf die Gäste abgestimmt, was bei den Besucherzahlen nicht weiter schwierig war.

Die Speisenkarte war ein beeindruckendes Werk im Taschenbuchformat, es enthielt nicht nur zahllose wohlklingende Gerichte, sondern auch deren Geschichte sowie den Herkunftsort der Zutaten. Wenn man zügig las, konnte man die Karte in einer Stunde durcharbeiten. Doch so weit kam es nicht. Drei Kellner traten an den Tisch, zogen uns die Speisenkarten aus den Händen, schlugen sie in der Mitte auf und tippten auf drei Gerichte. Dabei sagten sie im Chor: „Wir haben das, das und das.“ Hummer in drei verschiedenen Größen. Sonst nichts? „Sonst nichts“, bestätigten die Kellner im Kanon, zu dem die Sängerin „Rock Lobster“ von den B52s intonierte: „We were at the beach / Everybody had matching towels / Somebody went under a dock / And there they saw a rock / It wasn’t a rock / It was a rock lobster.“

Wir bestellten also Hummer. Und zwar mittelgroße Exemplare, dazu Bier und eine Flasche Wasser. Die Getränke kamen zügig, ein Kellner schenkte Wasser ein, während die anderen gelangweilt herumlümmelten. Wenn einer von uns nach der Flasche Wasser greifen wollte, kamen sie angeschossen und balgten sich geradezu darum, nachschenken zu dürfen. Einmal war ich schneller, aber es nützte mir nichts. Im Handumdrehen kamen zwei Ober angerannt. Einer hielt mich von hinten fest, während der andere mir die Flasche entwandt und nachgoss. Der Pianist spielte Händels „Wassermusik“.

Dann wurden die Hummer serviert, die Sängerin trug dazu das Kinderlied vom „Hummer mit Kummer“ vor. Ich hatte keine Erfahrung mit Hummern, meine bis dahin einzige Begegnung mit solch einem Tier hatte sich im Haus meiner Schwägerin ereignet. Sie hatte einen lebenden Hummer beim Weihnachtsbasar des Supermarktes gewonnen, wusste aber nicht, wie man ihn zubereitet. Sie legte das Tier ins kalte Wasser und schaltete die Kochplatte ein. Der Hummer fühlte sich zunächst recht wohl, doch schon bald wurde es ihm zu warm, und er versuchte aus dem Topf zu klettern. Die Schwägerin nahm einen Deckel und hielt ihn fest auf den Topf gedrückt, während der Hummer von innen klopfte. Nach einer Weile wurde es still, aber der Appetit auf Hummer war uns vergangen.

Im „Kennebunkport“ wusste man, wie die Krustentiere zuzubereiten sind, aber Harry und ich hatten keine Ahnung, wie man sie knackte. Ich rief die Bedienung zu Hilfe. Während zwei Kellner meinen Hummer mundgerecht zerlegten, stocherte Harry mutig mit seiner Gabel im Körper des Tieres. „Aber Harrylein“, sagte Anna tadelnd, „der Körper ist nicht genießbar.“ Die Sängerin stimmte „For shame of doing wrong“ von Richard Thompson an. Wir summten leise Hannes Waders Lied „Hör auf, Mädchen“.

Irgendwie bewältigten Harry und ich die mittelgroßen Hummer doch noch. Uns kam Eric Burdons Hit „I gotta get out of this place“ in den Sinn, und wir beschlossen, die nächste Hafenkneipe anzusteuern – ein Ambiente, in dem wir uns eher zu Hause fühlten, auch wenn Anna uns als „Banausen“ beschimpfte. Sie zahlte aber dennoch, und als wir das „Kennebunkport“ verließen, schmetterte uns die Sängerin „Muss i denn zum Städtele hinaus“ nach.

Morgen wird Harry 60, was mit einer großen Party in Hamburg gefeiert wird. Hummer, so versicherte man mir, werden nicht serviert. RALF SOTSCHECK

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