: Papa Pop
Das öffentliche Leiden des Papstes folgt einer perfekten Inszenierung des Vatikans. Diese moderne Golgatha-Mystik dient auch der Umsetzung eines reaktionären Programms
Die Vatikankorrespondenten der internationalen Nachrichtenagenturen sind offenbar nervös: „Papst Johannes Paul II. hat sich am Mittwoch kurz am Fenster seiner Wohnung im Vatikan gezeigt. Der 84-Jährige winkte den Gläubigen zwar zu, konnte aber noch nicht sprechen“, lautete der erste, wichtigste Satz der Meldung von dpa am 23. März, abgesandt unter Priorität 3, also eine wichtigere Meldung. Anfang März hatte Reuters gemeldet: „Papst Johannes Paul II. ist am Freitag erstmals wieder in der Öffentlichkeit zu hören gewesen“, so die Nachricht; „Gott segne euch“, habe er gesagt. Und Associated Press (AP) verkündete am 14. März, dass der Vatikan auf ein ärztliches Bulletin zum Zustand des Papstes verzichtete: eine Nichtmeldung als Meldung.
Die Klinikaufenthalte des Papstes der vergangenen Wochen und das Auf und Ab seines Gesundheitszustandes sind zu einem weltweiten Medienereignis geworden, das von Anfang an absurde Züge trug und zum anstehenden Ostersegen des Papstes, „urbi et orbi“, wohl einen weiteren Höhepunkt erreichen wird. Der 84-jährige Greis an der Spitze einer Weltreligion mit über einer Milliarde Angehörigen fasziniert über die Mitglieder seiner Glaubensgemeinschaft hinaus offenbar so viele Menschen, dass jede Geste des Erkrankten, jedes gehauchte Wort, ja jedes Räuspern irgendwie von Belang zu sein scheint.
Nun könnte man sich achselzuckend abwenden, wenn nicht gleichzeitig der Papst selbst und seine konservative Kurie der Inszenierung des kranken, alten obersten Glaubenshüters eine untergründige Stoßrichtung geben würden: Es geht bei der Zurschaustellung des zittrigen Alten auch darum, ein konservatives Programm inner- und außerkirchlich voranzubringen.
Das neue Papstbuch ist ein Beispiel: Es beinhaltet in Reinform die reaktionären Ansichten des Papstes zu Sexualität, Empfängnisverhütung, Säkularisierung, inner- und außerkirchlicher Demokratie – und, als besonders unappetitliches Aperçu, den (angedeuteten) Vergleich von Abtreibung und Holocaust. Zu anderen Zeiten hätten sich die modernen, westlichen Medien wahrscheinlich zu Recht die Finger wund getippt und gedreht vor Empörung über diese Provokationen. Aber gegenüber dem fast moribunden Mann in der Gemelli-Klinik empfinden sie eine Beißhemmung.
Dieser Papst hat seine Kurie in mehr als einem Vierteljahrhundert nach seinem Bilde geformt. Karol Wojtyła und seine Mannen, groß geworden in der Welt des Kalten Krieges mit seiner gnostischen Aufteilung in Gut und Böse, nutzen die zur Schau getragene Gebrechlichkeit zugleich zum weiteren Rollback hin zu einer vorkonziliaren Kirche des frühen 20., gar des 19. Jahrhunderts. Sie propagieren ein vormodernes, sehr katholisches Kirchenbild, in dem Leiden als Auszeichnung angesehen und Krankheit als eine Form der Auserwähltheit gedeutet werden konnte. Das Leiden des Papstes lässt zudem die klebrige Herz-Jesu-Frömmigkeit des vorletzten Jahrhunderts auferstehen: der Papst als Alter Ego Jesu, im Leiden glorifiziert als wahrer Stellvertreter Christi auf Erden.
Und wie damals im Bild des Schmerzensmanns mit blutendem Herz, gepeinigt durch den Dornenkranz, so soll auch in dieser neuen Golgatha-Mystik des Papstes in seiner römischen Klinik und einsam leidend im Vatikan ein klar reaktionäres, antimodernes, antiwestliches und antidemokratisches Programm transportiert werden: Die Kirche und der Papst mögen krank und alt sein, aber so habe sie Gott gewollt, Reformen sind nicht nötig. Deshalb wird dieser Papst auch niemals zurücktreten.
Was aber rührt die Menschen an diesem alten Mann – Leute, die sonst eher abschalten oder weiterblättern, wenn die Last des Alters gezeigt wird? Um zunächst das nahe Liegende zu nennen: Der Papst profitiert von seiner langen Amtszeit seit 1978, das erhöht seinen Wiedererkennungswert. Wojtyła ist schlicht „der Papst“ geworden, weil große Teile der Menschheit so jung sind, dass sie nie einen anderen Papst im Fernsehen gesehen haben oder sehen konnten.
Auch die Singularität des Amtes macht diese Figur medial so leicht vermittelbar: Es gibt tausende Mullahs, Gurus, Rabbiner und protestantische Bischöfe, aber eben nur einen Papst. Diese absolutistische Struktur ist veraltet und schädlich für die römisch-katholische Kirche – in Sachen PR und Marketing, als unique selling point sozusagen, ist der Papst unschlagbar.
Hinzu kommt das Äußere, von dem unsere Medienwelt lebt: der weiße Mann im immergleichen Outfit, umringt von bunten Kardinälen und Bischöfen in seltsam antiquiertem Ambiente. Die katholische Kirche, die älteste Institution der Welt, hat eben in der Inszenierung ihres obersten Repräsentanten trotz allen Konservatismus ein paar hundert Jahre mehr Erfahrung als die cleversten Spin-Doctors oder Werbeprofis der außerkirchlichen Welt.
Dem Vatikan ist es zudem – nicht zuletzt durch Papstcomics und Woodstock-artige Auftritte bei „Weltjugendtagen“ – gelungen, den Pontifex maximus zu einer Art Popfigur zu machen, einem Brückenbauer zwischen den Generationen. Er wurde zu einer weltweit lesbaren Chiffre für etwas diffus Heiliges, zumindest (Alt)ehrwürdiges, das jeder Erdenbürger versteht, sei er auch ungebildet oder kulturell anders als christlich geprägt.
Hier schließt sich ein weiterer Grund für das Interesse am Papst an: Der zerbrechliche Mann symbolisiert einen radikalen Gegenentwurf zum Gesundheits-, Jugend-, und Fitnesswahn der bunten Werbewelt. Das mag manche zu Ekel, andere zu Mitleid anregen, faszinierend aber ist es.
Es ist der recht oberflächliche Kitzel, dass sich da jemand, gedrängt von seiner Hierarchie, getrieben von eigenen Erwählungsgefühlen („Christus ist auch nicht vom Kreuz herabgestiegen“), in diesem jämmerlichen Zustand der öffentlichen Wahrnehmung aussetzt. Und die offenbar ziemlich zynischen PR-Profis im Vatikan geben dem Affen sogar noch Zucker. So hielten sie es etwa für eine gute Idee, eine Fernsehkamera zu installieren im Innern des Wagens, der den Papst von der Klinik wieder in den Vatikan brachte.
Die Botschaft ist klar: Der Papst ist wieder da. Er ist da, weil er da sein muss. Es ist eine machttechnisch vielleicht nachvollziehbare, gleichwohl entwürdigende Zurschaustellung eines greisen Kranken. Mit der Menschenwürde, dem großen Anliegen des Papstes, hat das wenig zu tun, aber das nur nebenbei.
Aber das Schlimme ist, dass sich dieses vorkonziliare Programm samt Showbiz-Inszenierung sogar für den Papst und sein konservatives Umfeld als stimmig zu erweisen scheinen wird, wenn hunderttausende Jugendliche dem Papst im Sommer in Köln beim Weltjugendtag zujubeln werden. Stimmig zumindest für die Bilder der Fernsehkameras, auf die es offenbar nach Ansicht des Medienpapstes vor allem ankommt. Aber vielleicht macht ja der Chef vom Papst ihm noch einen Strich durch die Rechnung. Darauf wetten sollte man nicht.
PHILIPP GESSLER