Straßenkampf um die Bratpfanne

Helmut, Thorsten und Michael Waligora handeln mit Schrott. Dass China jetzt mehr Autos baut, beschert ihnen hohe Preise – und mehr Konkurrenz

„Das ist halt einfach ein Kampf. Weinen bringt da absolut gar nichts“Nur 500 Euro im vergangen Monat. Trotz Stahlboom. Oder besser: Deshalb

AUS DORTMUNDKLAUS JANSEN

Dichter Öldunst hängt in einem engen Kabuff. Vier Männer in verschmierten Blaumännern drängen sich um einen kleinen Tisch, das Radio läuft. An den Wänden hängen dreckige Schals von Borussia Dortmund, an Nägeln sind Mützen aufgehangen, auf Hochglanzpapier präsentiert eine Kalender-Blondine ihre Brustwarzen. Es ist Frühstückszeit auf dem Hof der Familie Waligora, auf dem Tisch liegen Bananen und eine Flasche Cola. Thorsten Waligora, ein stämmiger 34-Jähriger mit silbernen Ohrringen und Brille, räuspert sich. „Flötenfritzen? Die von Haus zu Haus fahren und pfeifen? Die gibbet doch kaum noch.“

Dortmund, Petroleumhafen. Hier, zwischen Öltanks, leerstehenden Lagerhallen und von Gras überwucherten Bahngleisen betreiben die Waligoras ihre Schrotthandlung – seit über 35 Jahren, in der zweiten Generation. Auf dem engen Hof steht ein schwarzes Autoskelett, vermutlich Ford Escort, Reifenstapel liegen neben Containern für Aluminium, dazu Eisenteile und Kabel. „Hier im Hafen sind wir die kleinsten. Aber rumfahren und bei Privatleuten einsammeln, das haben wir nie gemacht. Das bringt es nicht. Nur feste Kunden, sonst nichts“, sagt Helmut Waligora. Der Mann mit der Ledermütze ist 64, „ein Jahr vor der Rente“, sein Gesicht durchziehen feine Falten.

Helmut Waligora hat den Betrieb gegründet, nachdem er vor Jahrzehnten seinen Job als Gleisbauer verloren hat. „Einen Tag vor der Lohntüte ist die Firma insolvent gegangen. Seitdem fahre ich Schrott.“ Waligoras Vater ist von Polen ins Ruhrgebiet gezogen, alte Arbeitertradition, „polnische Knochen, deutsche Brust“, sagt Waligora und schlägt sich zur Bekräftigung mit der Hand auf die Rippen. Nun leiten zwei seiner neun Kinder, Thorsten und Michael, den Familienbetrieb. „Keins von den Kindern ist arbeitslos“, sagt Helmut, das ist ihm wichtig. „Man lebt“, sagt Thorsten.

Man lebt? Glaubt man Wirtschaftsexperten und Verbandsfunktionären, dann arbeiten die Waligoras im neuen Dorado des Ruhrgebiets. Seit China die Automobilproduktion ausweitet, spricht alle Welt von einem Stahlboom – und im Zuge dessen ist auch Schrott wieder gefragt. Der Preis explodiert. Kostete früher die Tonne Mischschrott 25 Euro, sollen jetzt über hundert Euro gezahlt werden. Die Nachfrage ist da: „Allein jeden Monat benötigen die Stahlunternehmen in Deutschland eine Schrottmenge, die 200 Eiffeltürmen entspricht“, sagt etwa der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Die Waligoras besorgen den Rohstoff, geben ihn an größere Schrottplätze, dort wird sortiert und geschreddert, bevor das Material zur Schmelze weiterverkauft werden kann.

Der blaue MAN-Lastwagen der Waligoras hat zwar seine besten Jahre schon hinter sicht, aber er läuft. „Kippe aus. Anschnallen. Schnauze halten“, prangt Weiß auf Rot an der Windschutzscheibe. Thorsten Waligora steuert den Wagen durch die Dortmunder Innenstadt, stoppt vor einem Elektrogeschäft. Ein Bruder von ihm arbeitet dort, und wenn die Firma Elektrogeräte ausbaut, packen sie Thorsten und sein Vater in den Laster. Neben den Müllcontainern auf dem Parkplatz türmt sich ein Haufen: Werkzeugkisten, Kabel, Alustangen, sogar einen Plattenspieler und zwei alte Bratpfannen. Die Waligoras verladen den Schrott per Hand, nur für schwere Teile wird der Kran des LKWs bemüht. Aber schwer ist gut, denn im Schrottgeschäft wird nach Gewicht bezahlt. Die Ladefläche füllt sich, doch die Filetstücke des Schrotthaufens sind schon weg: Eine dreiköpfige Familie hat ihren Mitsubishi mit mehreren Heizkörpern derart beladen, dass das Heck durchhängt. „Zigeuner“, brummt Vater Waligora. Und dass die Konkurrenz das Geschäft erschwert.

Das Geschäft. Thorsten Waligora schwingt sich wieder auf den Bock seines Lastwagens und rechnet vor. 1.500 Euro bleibt jedem Familienmitglied am Ende eines ordentlichen Monats, doch die vergangenen Monate waren nicht ordentlich – 500 Euro, mehr nicht. Trotz Stahlboom. Oder besser: Deshalb. „Der Preis ist zu hoch“, sagt Thorsten, „man bekommt kaum noch Schrott.“ Denn mit dem Preis ist die Konkurrenz gestiegen. „Jeder Hinz und Kunz holt sich einen Anhänger und fährt einfach so durch die Gegend“, sagt Thorsten. „Die Schwatten“ hat ausgemacht, die Schrott nach Afrika verschiffen lassen. Aber nicht nur die: „Essen ist von Schrotthändlern total überfüllt. Die kommen nach hier, aus Recklinghausen und Castrop-Rauxel auch.“ In Brandenburg ist vor wenigen Wochen ein Güterzug mit 80 Waggons über Nacht auf einem Abstellgleis in seine Einzelteile zerlegt und verkauft worden. Wert: 160.000 Euro. Thorsten kennt noch andere Geschichten: „Manche kommen und sagen, sie wären Künstler und wollen aus Autoschrott Skulpturen machen. Und viele Händler glauben so einen Scheiß und geben ihre Sachen umsonst weg.“

Die Waligoras haben einige Schrottquellen verloren. Der LKW durchquert ein Gewerbegebiet, am Straßenrand zeigt Thorsten mit dem Finger auf die Werkstätten der Autohändler, die ihnen früher ausgeschlachtete Wracks geliefert haben. „Wir haben denen 25 Jahre lang alles umsonst abgeholt, auch in schlechten Zeiten“, sagt Thorsten. Jetzt zahlen die Händler für den Schrott und überbieten sich gegenseitig. „Da können einem die Tränen kommen.“ Übel nehmen will Thorsten Waligora den illegalen Sammlern ihre Wilderei nicht. „Die müssen ja auch leben“, sagt er, kneift die Augen zusammen, wird philosophisch: „Das ist halt einfach ein Kampf. Weinen bringt da absolut gar nichts.“ Anpacken also, so einfach.

An einer Trinkhalle wird der Lastwagen wieder geparkt, der Mann hinter der Theke grüßt mit Schimpfworten. „Das ist Zweiklassengesellschaft. Uns beschimpft er, zu allen anderen ist er freundlich“, ruft Helmut Waligora durch den Raum. Man lacht, man kennt sich, es gibt Kaffee und Frikadellen mit Senf. Thorsten Waligora hat Tankwart gelernt, dann zwei Jahre in Osteuropa auf Montage gearbeitet, bevor er in den Schrotthandel eingestiegen ist. Seine Freundin arbeitet in einer Bäckerei, gemeinsam reicht es für eine Haushälfte im Stadtteil Dorstfeld, demnächst will Thorsten einziehen. Zur Miete. „Ich trinke nicht, lebe nicht exzessiv“, sagt Thorsten. Dafür hat er sich einen bordeaux-roten VW-Bus gekauft, der mit hochglanzpolierten Alufelgen auf dem Hof am Hafen steht. Der Lack glitzert in der Sonne.

Irgendwann wird auch Thorstens Prachtstück den Weg gehen, den der schwarze Escort auf seinem Hof gerade vor sich hat. Michael Waligora drischt mit einem massiven Hammer auf die Radaufhängung des Wracks ein, bis er einen roten Kopf bekommt. Ein Rad fällt herunter, das zweite weigert sich, also gesellt sich mit der Karosse auch ein einsamer Gummireifen zu dem Elektroschrott auf der Ladefläche des Lastwagens, der den nächsten Schrottplatz ansteuert.

820 Kilogramm Ladung zeigt die Wage an, die der LKW passiert. „60 Euro die Tonne diesen Monat, nächsten Monat weiß ich noch nicht“, ruft der grauhaarige Besitzer des Schrottplatzes. Knapp fünfzig Euro werden den drei Waligoras auf einer Quittung gutgeschrieben. Abgerechnet wird zum Monatsende, es sei denn, das Geld wird vorher knapp. Zumindest für den Vormittag verabschiedet man sich. Ein großer Magnet senkt sich über ihren Lastwagen, der Escort erhebt sich in die Luft und fällt mit lautem Gepolter wieder herunter. Es macht Boom.