: Politischer Frühling auf Kairos Straßen
In dem bevölkerungsreichsten arabischen Land wächst ein Oppositionsbündnis, das ein Ende der Ära Mubarak und echte politische Reformen fordert. Nun schließen sich auch die vom Regime gefürchteten Muslimbrüder der Bewegung an
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
„Kifaya“ lautet der Schlachtruf der Demonstranten, zu deutsch „es reicht“. Das ist eine Anspielung auf die Amtszeit des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak, die fast ein Viertel Jahrhundert umfasst. Das Grüppchen von 200 Menschen im Zentrum Kairos schlägt für Ägypten völlig neue Töne an. „Mubarak, die Zeit der Pharaonen ist vorüber“, skandieren sie furchtlos vor einer Dreierkette mit schwarzuniformierten Bereitschaftspolizisten, die die Veranstaltung aber tolerieren.
„Wir wollen wirkliche Veränderungen der Verfassung, eine parlamentarische Republik, in der die Gewalten getrennt sind und alle staatlichen Institutionen Rechenschaft ablegen müssen, angefangen beim Präsidenten selbst“, fasst Emad Siyam sichtlich aufgeregt die Forderungen der Demonstranten zusammen. Auf seiner Stirn klebt ein gelber Kifaya-Aufkleber. Siyam ist einer der Gründer der Kifaya-Bewegung, einer Mischung aus säkularen, nationalistischen und linken Gruppierungen.
So geht das nun seit Wochen. Fast täglich finden Kundgebungen statt. Doch nun bekam die kleine, aber sture ägyptische Protestbewegung großen Zuwachs: von der größten Oppositionsgruppe, den Muslimbrüdern, die sich bisher aus den Protesten herausgehalten hatte.
Sie mobilisierte am vergangenen Samstag mehrere tausend Anhänger, um vor das Parlament zu ziehen. Zwar stießen sie wegen eines massiven Polizeiaufgebots nicht bis zu dem Gebäude vor, aber die Innenstadt war einen halben Tag lahm gelegt. Daraufhin begann eine Verhaftungswelle, und bis heute sollen sich noch 80 Muslimbrüder ohne Anklage in 15-tägiger Untersuchungshaft befinden.
Seitdem spekuliert man in Kairo über den unterschiedlichen Umgang der Regierung mit den säkularen Gruppen und den Islamisten. „Wir sind einfach größer und haben mehr Einfluss als andere Oppositionsgruppen, daher versucht die Regierung uns zu stoppen“, sagt Ahmad Ramy, ein Mitglied der Muslimbruderschaft.
Andere glauben, dass das ägyptische Regime davon ausgeht, dass ein harscher Umgang mit den Islamisten nicht auf den Unmut Washingtons stößt.
Einziger konkreter Reformschritt ist eine Ankündigung Mubaraks vor einem Monat, bis Mai die Verfassung zu ändern, um bei den Präsidentschaftswahlen im Herbst mehr als einen Kandidaten zuzulassen. Doch offen ist, wer kandidieren darf. „Die wollen uns nur zum Narren halten, und die ganze Opposition hat das Spiel durchschaut“, meint Kifaya-Gründer Siyam abschätzig dazu.
Das Regime Mubarak steht unter enormem innenpolitischem und amerikanischem Druck, politische Reformen einzuleiten. Offensichtlich versucht die Regierung in Kairo durch das Zulassen bestimmter Demonstrationen dem inneren Druck ein Ventil zu öffnen. Gleichzeitig will sie aber nicht riskieren, die Kontrolle zu verlieren, was den harschen Umgang mit den Islamisten erklärt.
Die Muslimbrüder präsentieren sich unterdessen als Demokraten. „Ob Islamisten oder Liberale, wir alle wollen Mubarak herausfordern und zu Reformen zwingen. Wir wollen echten Pluralismus und Wahlen. Das wird auch in der Scharia, dem islamischen Recht verlangt“, führt der prominente Journalist und Muslimbruder Muhammad Abdel Qadus aus.
Offensichtlich herrscht in der Muslimbruderschaft aber bisher keine Einigkeit darüber, ob man tatsächlich auf einen schärferen Konfrontationskurs mit der Regierung gehen sollte. Muhammad Habib, ihr stellvertretender Chef, bezeichnet die islamistische Beteiligung an den Straßenprotesten vorsichtig als „symbolisch“. Bisher hatten die moderaten Islamisten, die einen islamischen Staat durch einen Marsch durch die Institutionen erreichen wollen, einen direkten Zusammenstoß vermieden. Aber ein Teil der Muslimbrüder hat nun Angst, an den Rand gedrängt zu werden, wenn sie sich nicht den Reihen der säkularen und arabisch-nationalistischen Opposition anschließen.
Die säkulare Opposition gibt sich bis jetzt gelassen, dass ihre Konkurrenz, die Islamisten, sich am Kampf um politische Reformen beteiligen. „Wir können unserer kleinen Bewegung zuschreiben, die schwerfällige Muslimbruderschaft in Bewegung gesetzt zu haben, weil sie Angst haben, bei den neuen Entwicklungen außen vor zu bleiben“, sagt Abdel Halim Qandil, einer der Organisatoren der Kifaya-Bewegung. Für ihn ist das Dazustoßen der Muslimbruderschaft eine positive Entwicklung, denn: „Wir brauchen jeden, um die politische Stagnation in diesem Land zu bekämpfen.“