: „Hässlich ist eigentlich schön“
SIRENE Beth Ditto ist die Sängerin von Gossip. Mit der taz spricht sie über Post-Punk, Dicksein, Gender und Provinz. Über Karl Lagerfeld und warum sie nun auch selbst Mode macht
■ Das Landei: Wurde 1981 als Mary Beth Patterson in Searcy, Arkansas, geboren. Sie wuchs mit ihren sechs Geschwistern in einem Trailerpark auf.
■ Die Punkerin: 1999 gründete sie das Post-Punk-Trio Gossip und zog nach Olympia. In ihren Songs kämpft die Lesbe für die Gleichberechtigung von Homosexuellen. Derzeit tourt sie mit ihrer vierten Gossip-CD „Music for Men“, die am 19. Juni erschienen ist.
■ Die Stilikone: Die 1,55 Meter große und 95 Kilo schwere Sängerin hat für das Modelabel Evans eine eigene Kollektion für Übergewichtige entworfen.
INTERVIEW DAGMAR LEISCHOW
taz: Beth Ditto, Ihre Band Gossip fühlt sich dem Underground verbunden. Jetzt sieht man Sie an der Seite von Karl Lagerfeld und Stella McCartney bei der Pariser Fashion Week. Ist das nicht Verrat?Beth Ditto: Das mögen viele Fans so wahrnehmen. Aber ich weigere mich, mich von irgendwelchen Dogmen einschränken zu lassen. Ich liebe Mode, also bekenne ich mich zu dieser Leidenschaft. Was ist daran falsch? Die Welt ist eben nicht schwarzweiß, das sollten sich diejenigen, die mit ihrer arroganten Indie-Attitüde auf andere herabschauen, endlich klarmachen. Das sagt jemand, der selbst aus dieser Szene kommt? Sicher. Ich mag Kunst und Ästhetik des Underground. Aber die Engstirnigkeit einiger Leute widert mich an. Sie fühlen sich als etwas Besseres, glauben, sie seien Punks, bloß weil sie sich auf eine gewisse Art kleiden. Zum Glück passen meine Freunde nicht in solche Schubladen. Sie sind offen und tolerant. Keiner hat ein Problem damit, dass mich Kate Moss ebenso inspiriert wie Kathleen Hanna. Trotzdem haben Punk und die Riot-Grrrl-Bewegung Ihr Leben entscheidend verändert. Das stimmt. Dank Punk begriff ich in den 90ern: Hässlich ist eigentlich schön. Ich lernte, mich so zu lieben, wie ich bin, und an mich zu glauben, statt mir von anderen einreden zu lassen, ich sei nur ein fettes Stück Dreck. Wenn ich die Hänseleien meiner Mitschüler verinnerlicht hätte, dann hätte ich all meine Energie auf Diäten verschwendet. Ich wäre wohl nie Musikerin geworden. Warum klingen Ihre Texte heute weniger rebellisch als früher? Seit Obama Bush abgelöst hat, schaue ich optimistischer in die Zukunft. Natürlich ist die Welt nicht perfekt. Doch das ist auf unserem neuen Album ein bisschen in den Hintergrund gerückt. Diesmal geht es stärker um Liebe als um Politik. Das war kein Kalkül, wir sind einfach unserem Bauchgefühl gefolgt. Wieso nennt eine feministisch geprägte Band ihr Album ausgerechnet „Music for Men“? Es mag paradox klingen: Für uns ist der Albumtitel ein feministisches Statement. Er macht sich wie im Titelsong für gleichgeschlechtliche Liebe stark. Konservativen fällt es oft schwer, ein schwules Paar zu akzeptieren. Deswegen werden Homosexuelle diskriminiert. Weil ich das inakzeptabel finde, singe ich dagegen an. Letztlich möchte ich aber nicht als verbissene Lesbe rüberkommen, sondern als jemand, die auch mal über sich selber lachen kann. Einige ihrer Lieder wirken recht melancholisch. Ich habe eben verschiedene Facetten. Obgleich ich gern lustig bin, sollte man mich nicht als eine Art Clown wahrnehmen. Es gibt Momente, da bin ich wütend und traurig, fast schon depressiv. Vielleicht liegen die Ursachen dafür in meiner Kindheit. Wie hart war es, in den USA im „Bible Belt“ aufzuwachsen? Meine Familie lebte in einer Kleinstadt in Arkansas, die extrem konservativ war. Am Wochenende trafen sich die Väter zum Biertrinken, die Mütter hüteten daheim die Kinder. Das Leben war ziemlich trostlos, zumal wir arm waren. Oft hatte ich das Gefühl: Wir sind nichts wert, wir sind bloß White Trash. Haben Sie Ihre Außenseiterrolle gehasst? Klar war das nicht immer leicht. Ich musste viele Gemeinheiten ertragen. Wegen meiner Figur und so weiter. Aber ich lächelte stets, war zu allen nett und freundlich. Keiner sollte wissen, wie sehr mich diese bösen Worte wirklich trafen. Diese Haltung ist typisch für Südstaatler. Sie neigen dazu, ihre wahren Empfindungen hinter einem Lächeln zu verstecken. Heißt das, Sie haben sich nie offen gewehrt? Nur wenn jemand meine homosexuellen Freunde ärgerte. Sonst wurde ich nie aggressiv, Aggressivität erzeugt nur noch mehr Aggressivität. Im Übrigen spürte ich schon damals: So wird es nicht ewig weitergehen, irgendwann lasse ich diese Tristesse hinter mir, dann kommt etwas Besseres. An diesen Traum habe ich mich geklammert, er gab mir Kraft. Wann haben Sie Ihre eigene Homosexualität entdeckt? Ich war vielleicht vier, fünf, als ich begriff: Ich fühle mich mehr zu Mädchen hingezogen als zu Jungen. Das verwirrte mich, es machte mir Angst. Ich glaubte, ich käme dafür in die Hölle. Später, als Teenager, war ich eifersüchtig auf die Freunde meiner Freundinnen. Ich wollte sie nicht an einen Jungen verlieren. Männer fand ich total unattraktiv. Das hat sich inzwischen geändert. Heute mag ich keine extrem weiblichen Frauen, ich ziehe Transsexuelle vor, die recht männlich sind. Ihre Offenheit ist ungewöhnlich. Nur wenige schreiben Songs übers Schwul- oder Lesbischsein. Jedenfalls keine ernsthaften Lieder. Katy Perry singt doch nur aus Berechnung „I kissed a Girl“. Mit ein bisschen Provokation wollte sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sich für Menschen einzusetzen, die anders sind als der Durchschnitt, war nie ihr Ziel. In Wirklichkeit ist sie ja selbst tiefgläubig. Sie provozieren aber auch, wenn Sie sich nackt für ein Magazincover ablichten lassen. Für mich ist das eher ein Statement, das ich als Prominente machen kann: Seht her! Wir Dicken müssen uns nicht verstecken. Wir sind schön und sexy. Sicher löst das kontroverse Diskussionen aus. Auf der anderen Seite helfen meine Fotos anderen Übergewichtigen vielleicht, mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln. Zugleich posierten Sie in Paris mit Karl Lagerfeld, der den Ruf hat, ein Verfechter des Magerwahns zu sein. Wie passt das zusammen? Mir ist durchaus klar, dass in der Modebranche nicht alles toll ist. Aber wenn Karl für jemanden mit meiner Größe ein paar Sachen entwirft, dann könnte das eine Signalwirkung haben. Hoffentlich trauen sich die Designer eines Tages, üppigere Frauen über den Laufsteg zu schicken, statt der dürren Models. Ist die Modeindustrie überhaupt veränderungswillig? Wer das glaubt, der ist naiv. Darum überschätze ich meinen Einfluss nicht. Im Frühjahr saß ich bei den Pariser Schauen in der ersten Reihe, beim nächsten Mal sitzt dort wieder das ein oder andere It-Girl. Alles ist extrem schnelllebig und oberflächlich. Warum sind Sie jetzt mit einer eigenen Modelinie in dieses Karussell der Eitelkeiten eingestiegen? Weil es für mich ein innerer Drang ist, kreativ zu sein. Für die britische Firma Evans habe ich für Frauen jenseits von Größe 38 einige Outfits entworfen. Jedes einzelne Teil zeichne ich eigenhändig und suchte die Stoffe aus, die Farben. Fakt ist doch: Je dicker man ist, desto weniger extravagante Sachen findet man. Deswegen ist meine Kollektion eine ziemlich verrückte Hommage an Grace Jones, Debbie Harry und Bauhaus. Wie wichtig ist Ihnen, anderen Frauen ein Vorbild zu sein? Ich sage stets ganz offen meine Meinung. Trotzdem sehe ich mich nicht unbedingt als Vorbild. Ich bin eher so eine Art Freundin, vielleicht auch Schwester, von der Mädchen ein bisschen lernen können. Dass man nicht jede Verhaltensnorm akzeptieren muss. Oder dass jeder sein eigenes Schönheitsideal entwickeln sollte. Als ich klein war, da habe ich mir auch jemanden gewünscht, an dem ich mich hätte orientieren können. Wann wurde Ihnen als Kind bewusst, was für eine kraftvolle Stimme Sie haben? Als ich im Kirchenchor sang. Schon damals fürchtete ich mich nicht davor, mein gesamtes Stimmvolumen auszuschöpfen. Trotzdem malte ich mir keine Karriere als Musikerin aus. Vielleicht werde ich Gesangslehrerin, dachte ich. Selbst als Gossip schon eine Weile existierten, konnte ich es nicht fassen, dass ich wirklich eine Band hatte. Manchmal schließe ich auf der Bühne kurz die Augen, dann öffne ich sie wieder und begreife: Das ist ja eine echte Show!