Ästhetische Teetische

Schriften zu Zeitschriften: Die „Neue Rundschau“ fragt nach der Freiheit der Kunst und entdeckt ihre Zwänge

Erst wenn man das Werk nicht explizit als Kunst behandelt, zeigt es seinen unverwechselbaren Charakter

Was reimt sich eigentlich auf ästhetisch? Heinrich Heine hatte im „Buch der Lieder“ eine Idee: Teetisch. Womit schon angedeutet ist, dass das alltägliche bornierte Leben gegenüber der hohen Kunst immerzu abfallen muss. Leider gilt es ja inzwischen als gleichermaßen borniert, über Normen in der Kunst zu streiten. Ist nicht mittlerweile alles Kunst? In der Neuen Rundschau (1/2005) will trotzdem niemand auf den Spaß verzichten, das Gute vom Schlechten zu trennen. Denn hier geht es nicht um die Kunst als solche, sondern bloß um ihre leidige Freiheit.

Glaubt man dem Hörfunkjournalisten Christian Demand, hat „im latent ironischen Geistesklima der Gegenwart, in dem das persönliche Bekenntnis zur Trashkultur als Ausweis überlegener Coolness gilt“, sogar das Wort Kitsch seinen Schrecken verloren. Kaum ein Text verzichte heute noch auf die „rituellen Beschwörungen der Vielfalt“. Doch das ist nur dünner theoretischer Puderzucker. Keiner der am Kunstbetrieb Beteiligten wolle einen „wirklich entgrenzten Kunstbegriff“, denn das bedeute „den Abschied vom Glauben an den Kompetenzvorsprung des betrieblichen Insiders“.

Bis auf das stumme und schlimmstenfalls dumme Publikum sind Kulturbetriebsnudeln nämlich notwendigerweise korrupt. Schließlich wollen sie den Betrieb am Laufen halten: Verkauften die Kritiker nicht immerzu die sattsam bekannten Formeln von „der produktiven Störung der Wahrnehmungsgewohnheiten, dem intrinsischen Wert des Tabubruchs, dem bewusstseinserweiternden Potenzial des Alogischen“? Basiere der Kunsthandel nicht auf der Suggestion langfristig stabiler Wertzuweisungen? Legitimierten Museen sich nicht dadurch, ein Extrakt des Dauerhaften bewahren zu wollen? Und müssten die Künstler am Ende nicht auch zusehen, „dass ihre Arbeit als Ausdruck des emanzipatorischen Ethos der Moderne gelesen wird“, weil die Teilhabe am System nun mal eine Schicksalsfrage ist?

Demands eigentlicher Albdruck in der Kunst ist der Gestus des besserwisserischen geistigen Vorsprungs. Schuld daran sei die „singuläre ästhetiko-moralische Meistererzählung“ der Moderne und ihr allen Beschwörungen zum Trotz nicht totzukriegender Avantgarde-Anspruch.

Auch der Karlsruher Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich warnt vor dem „Zwangscharakter der Freiheit“ in der Kunst. Für ihn „bestätigt sich ein von Linken längst geäußerter Verdacht, wonach ‚autonome Aura und Marktwert der Kunst‘ einander korrespondieren und dieser jene sogar zur Voraussetzung hat“. Sein Ausweg: sich von der Mimesis-Verführung des Autonomiebegriffs emanzipieren und wieder auf das wirklich Vermittelbare achten: „Erst wenn man das Werk nicht explizit als Kunst behandelt, offenbart es seinen besonderen – unverwechselbaren – Charakter.“

Notfalls kann man ja höflich nicken, wenn einem in der Fußgängerzone ein bunt geschminkter Aktionskünstler eine rohe Kartoffel in die Hand drücken will. Doch schon warnt der Zeit-Feuilletonist Hanno Rauterberg vor einer Politisierung der Kunst, vor dem Fehlschluss, dass Kunst in einer Welt, „die sich immer mehr medialisiert und aufhübscht“, ihre gesellschaftliche Relevanz nur noch durch gesellschaftliches Engagement unter Beweis stellen könne.

Heutige Künstler empfänden Freiheit oft als bedrohlich und klammerten sich in dem Wunsch, gebraucht zu werden, an das Greifbare: „an Kampagnen-Ästhetik, an Sozialaktivismus, an eine Art Focus-Kunst, für die nur eines zählt – Fakten, Fakten, Fakten“. Zwar suchten Künstler gemäß den Postulaten der Avantgarde die Vereinigung von Kunst und Leben, doch wohne dieser Strategie ein „Gestus des Allmächtigen und Omnipräsenten inne“. Das sei alles andere als das vorgebliche Ideal einer demokratischen Gesellschaftskunst.

Schlimmer noch: Wenn sich in der Politkunst alles Werkhafte im Prozessualen oder Kommunikativen verlaufe, zähle allein der performative Wert. Und das, so Rauterberg, „ähnelt fatal den Idealen einer postindustriellen Ökonomie, die nicht länger primär auf die Herstellung und den Verkauf eines Produkts abzielt, sondern viel stärker auf Lebensstil und Wertvermittlung setzt“. Rauterbergs romantische Gegenperspektive: „Das Soziale an der Kunst ist also recht eigentlich das Asoziale.“ Keine Angst also vor der grenzenlosen künstlerischen Freiheit – die Normzwänge sind noch da. JAN-HENDRIK WULF

„Neue Rundschau“ (1/2005), 10 €