Die große Freakshow

Die Freakshow im Nordamerika des 19. Jahrhunderts war vor allem eines: Selbstvergewisserung des Publikums. In einer sich immer mehr brutalisierenden Welt und der hyperkapitalistischen Ausbeutung des Kontinents, an der bei Strafe des Untergangs alle teilnehmen mussten und in der skrupellose Verbrecher die besten Karten im Kampf um den Profit hatten, brauchte es schon bärtige Frauen, deformierte Babies, zweiköpfige Ziegen und tätowierte Feuerschlucker, um sich daneben als „normal“ wahrnehmen zu können. Mit der zunehmenden Zivilisierung der kapitalistischen Konkurrenz entdeckte das Bürgertum sein Mitleid mit den Freaks, ihre Zurschaustellung galt plötzlich als unmenschlich. Der Wunsch nach der Sensation aber war nicht gänzlich zu verdrängen und so ziehen noch immer Shows durch die Lande, die der familienfreundlichen Varieté- und Zirkusunterhaltung eine deftigere Alternative beigeben. Die Squidling Brothers, heute Abend im Eschschloraque, sind eine solche: Da werden nicht nur Messer, sondern gleich ganze Gewehre geschluckt, Gewichte an Piercings hochgehoben, Nagelbretter und Scherben zum Ruhelager und brennende Backwaren zum Mahl. Da lässt es sich gut schauen und staunen, den einen oder anderen Ekel überwinden und für eine Stunde vergessen, was draußen vor der Tür wartet: Die ganz reale Freakshow des Lebens, in deren Räderwerk wir alle nur ein kleines, aber definitiv dazugehöriges Teilchen sind. KRT

■ Squidling Brothers Freak Show: 3. Januar, 22 Uhr, Eschschloraque, Rosenthaler Straße 39