: Die stillen Besetzer in der Karl-Marx-Allee
Der Übergang als Normalzustand: Das Jahr ist um, der Comme-des-Garçons-Guerilla-Store ist umgezogen. Jetzt versammelt ein neuer temporärer Shop die aktuelle Kollektion, alte Entwürfe sowie die Parfüms des japanischen Modelabels – und bringt ein wenig mehr Flüchtigkeit in die Mode
VON KATRIN KRUSE
Die „Karl-Marx-Buchhandlung“ in der Karl-Marx-Allee sieht derzeit etwas merkwürdig aus. Halb werden, erwartungsgemäß, Bücher verkauft, halb hat etwas von ihr Besitz ergriffen, das sich „Guerilla-Store“ nennt und jetzt seinen zweiten Ort in Berlin hat. Das Konzept des japanischen Modelabels Comme des Garçons: Man kommt, bleibt für ein Jahr und verschwindet wieder. Und lässt nichts anderes zurück als das, was man damals vorgefunden hat. In einem Jahr also wird die eine Hälfte des Ladens in der Karl-Marx-Allee wieder eine Buchhandlung ohne Bücher sein: große, mittelbraune Holzregale, der Steinfußboden, die große Scheibe zur Straße hin. Bis dahin hängen Kleider auf Stangen, liegen T-Shirts auf Tischen. Und in den Regalen stehen flache Parfümflakons oder weiche, geknotete Taschen.
Als Comme des Garçons vor über einem Jahr die ersten Guerilla-Stores eröffnete – Berlin, Chausseestraße, die ehemalige, entkernte Brecht-Buchhandlung war eines der ersten –, da dachte man, diese Orte des Übergangs seien eben auch nur eine vorübergehende Strategie. Und der Name, das denkt man noch heute, ist ein wenig rau, ein wenig unmäßig für einen Raum, für den man Miete zahlt. Es ist allerdings eine Logik in dieser Besetzung, zumal für Comme des Garçons. Deren Gründerin, die Japanerin Rei Kawakubo, hat als erste ihre Mode in Galerieatmosphäre präsentiert: die Kleider als Objekte, der Raum Teil des Gesamtkonzepts. Nun, wo alle ihre Flagshipstores gigantischer und repräsentativer bauen und im Mittelpunkt die sorgsam gewahrte Corporate Identity steht, bezieht Comme des Garçons den Zufall ein, das Provisorium und vor allem: das Lokale. Mittlerweile gibt es Guerilla-Stores in Barcelona, Singapur, Helsinki, Ljubljana, Stockholm, Warschau und Kopenhagen. Der Ortswechsel in Berlin zeigt die Kontinuität des Temporären. Längst hat das Vorübergehende seine Stabilität gefunden.
„Man führt auch hier wieder so ein verstecktes Dasein“, sagt die Geschäftsführerin Lil Schlichting-Stegemann – wie in der Chausseestraße. Sie hat den Teil der Buchhandlung, der früher ein Antiquariat war, übernommen; nebenan geht in der „Karl-Marx-Buchhandlung“ der Betrieb weiter. Dass es wieder eine ehemalige Buchhandlung ist, die den temporären Comme-de-Garçons-Laden beherbergt, ist Zufall. Allerdings gab Rei Kawakubos Mann Adrian Joffe den Anstoß, auf der Karl-Marx-Allee zu suchen: weil sie ihm gefallen hat, die karge Straße mit den großen Bauten.
Wenn Lil Schlichting-Stegemann über Comme des Garçons spricht, dann sagt sie „Kleidung“ und nicht „Mode“. Mode, würde sie sagen, ist saisonal, Kleidung ist ein Objekt, das Bestand hat, wie die Kostümjacken, im Ink-Jet-Verfahren mit Blumenmuster bedruckt – aus der Vorjahreskollektion. Es gibt Teile, die wurden vor fünf Jahren designt, weswegen die Guerilla-Stores von Fans und Sammlern frequentiert werden: Wo sonst bekommt man schon Second-Second-Season – und gleichzeitig das rosa-weiße Vichy-Karo der aktuellen Sommerkollektion?
Als Rei Kawakubo 1981 ihre Kollektion erstmals auf den Pariser Prêt-à-porter-Schauen zeigte, sprachen Kritiker vom „postatomaren Fetzen-und Löcherlook“, schwarz, zerlöchert, lumpig. Die zentralen Merkmale dieser „Spitzenkollektion“ sind längst in die Mode gewandert. Verfall, die Offenlegung des Konstruktionsprinzips, Vergänglichkeit: In der Mode die Mode selbst zu verhandeln, ist zur gängigen Praxis geworden. Und jetzt also die Guerilla-Stores: Man mag sie ein cleveres Marketing-Instrument nennen, eine geschickte Inszenierung des Nichtinszenierten. In jedem Fall aber weist das Flüchtige ihrer Gestaltung darauf, wie andernorts der Shop, die Präsentation längst die Mode überformt: Shopping als quasisakrale Handlung im auratischen Raum. Flüchtigkeit in die Mode zu tragen, gleichzeitig aber deren Zyklen zu verlängern, ist keine schlechte Strategie. Setzte sie sich durch, die Idee Kawakubos, die Mode würde langsamer, nur mehr die Stores wären in steter Bewegung. Nur an einem müsste man noch arbeiten: am weniger dramatischen Namen.