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Archiv-Artikel

Neues Manhattan am Mittelmeer

Nach dem Bürgerkrieg wurde Beiruts verwaistes Zentrum wieder aufpoliert. Dafür ließ eine Koalition der Nachkriegsgewinnler das Stadtzentrum kurzerhand enteignen. Nur ein paar Meter weiter liegen die übervölkerten Viertel der Unterschichten

Verschwiegene Banken, mildes Klima und professionelle Unterhaltung

VON HEIKO WIMMEN

„Kennen Sie dieses Computerspiel, SimCity?“, fragt der oberste Stadtplaner in der Downtown von Beirut das angereiste Fernsehteam. „Da müssen Sie nur die richtigen Rahmenbedingungen und die Infrastruktur schaffen, und die Stadt wächst von ganz allein.“ Für einen Augenblick nimmt das jungenhafte Gesicht des Harvard-Absolventen einen versonnen Ausdruck an, während er den Blick über die sauber aufgeräumten Baugrundstücke an der Hafenpromenade schweifen lässt: „Wir spielen hier SimCity, aber in der Wirklichkeit.“

Das war vor fünf Jahren. Ähnlich wie in Berlin hatte im geteilten Beirut die Geschichte eine Leerstelle mitten im Zentrum der Stadt hinterlassen und so reichlich Raum für Stadtplaner, Spekulanten und Visionäre geschaffen. Die größte Vision von allen hatte Ministerpräsident Rafik al-Hariri: In nur zwanzig Jahren sollte Beirut als ein neues Manhattan am Mittelmeer aus den Ruinen auferstehen. Im Handstreich ließ eine Koalition der Nachkriegsgewinnler kurzerhand das gesamte Stadtzentrum enteignen, Sprengstoff und Abrissbirne beseitigten einen Großteil der Kriegsruinen. Ein Mix aus schick sanierten Altbauvierteln, moderner Infrastruktur und orientalischem Flair werde Investoren anlocken, versprach die eigens gegründete Immobiliengesellschaft Solidere (Hauptanteilseigner: Rafik al-Hariri).

Doch wenn heute die Rechnung der Beiruter Planer tatsächlich aufgeht und überall in der Downtown die Hochhaustürme wie Pilze aus dem Boden schießen, hat das wenig mit den neoliberalen „Rahmenbedingungen“ von Steuersenkungen und Deregulierung zu tun, durch die al-Hariri die heimische Wirtschaft ankurbeln wollte. Eher schon mit einem unwahrscheinlichen Verbündeten: seit Ussama Bin Laden wohlhabenden Arabern das Reisen ins westliche Ausland vermiest hat und die Angst vor der Beschlagnahme von Auslandsguthaben umgeht, strömen arabisches Kapital und Touristen herein wie nie zuvor. Verschwiegene Banken, mildes Klima und eine professionelle Unterhaltungsindustrie: eine perfekte Mischung für Besucher aus den dollarschweren, aber puritanischen Golfstaaten. In der Altstadt mit ihren aufwendig restaurierten französischen Kolonialfassaden blieb im letzten Sommer zwischen den überfüllten Straßenrestaurants kaum noch Platz für Fußgänger, schwappte selbst das hier gewöhnlich diskrete fleischliche Gewerbe aus den Nightclubs auf die Straßen. 1,3 Millionen Touristen waren es 2004, nachdem erst ein Jahr zuvor die Zahl zum ersten Mal seit Kriegsende wieder die Millionengrenze überschritten hatte.

„Wer sich für diese Zahlen auf die Schulter klopft, sollte sich schämen“, polterte der Oppositionspolitiker Najah Wakim im Lokalfernsehen, „erst haben wir unsere Stadt verkauft, jetzt verkaufen wir unsere Töchter.“

Mit seinen Ausfällen kommt der Altlinke gut an bei der gebeutelten libanesischen Mittelklasse, die auf die wohlhabenden, vor einer Generation noch illiteraten Vettern vom Golf mit beleidigtem Stolz herabschaut. Doch auch weite Teile dieser Schicht hängen am Tropf der Petrodollars: Kein libanesischer Fernsehsender überlebt ohne auf Konsumenten in Riad und Abu Dhabi ausgerichtete Werbebudgets, keine Bank ohne die Einlagen der Ölprinzen, und der libanesische Staat, Arbeitgeber für ein gutes Viertel der Bevölkerung, wäre ohne die Finanzspritzen der reichen Cousins schon seit Jahren bankrott. Längst hat sich zwischen den hypermodernen Glitzerstädten am Golf und der Schmuddeltochter am Mittelmeer eine stillschweigende Arbeitsteilung etabliert: saubere Termingeschäfte an der Börse von Dubai vs. diskrete Geldwäsche auf dem libanesischen Immobilienmarkt. Koranschulen in Kuwait vs. amerikanische Universität; suburbane Wüstenei in den saudischen Retortenstädten vs. professionell inszenierte Urbanität in der Downtown von Beirut. Ein Stück Amerika ohne amerikanische Steuern, Bankenaufsicht und Antiterrorgesetze, ein Stück Arabien mit Miniröcken und Alkohol – mit dieser Mischung wollte der internationale Finanzmagnat al-Hariri einen Teil der gewaltigen arabischen Auslandsguthaben umleiten (Schätzungen schwanken zwischen 700 Milliarden und 1,3 Trillionen Dollar).

Wie hoch in diesem Spiel der Einsatz ist, davon zeugt seit Mitte Februar ein gewaltiges Loch am Jachthafen, wo über eine halbe Tonne Sprengstoff die Karriere des größten libanesischen Bauspekulanten beendete. Seitdem ist das geschäftige Treiben im Zentrum zum Erliegen gekommen. Der Anschlag, dem weitere Bombenexplosionen folgten, wird von den meisten Beobachtern den Geheimdiensten des übermächtigen Nachbarn Syrien zugeschrieben – für den Libanon als Verbündeter gegen Israel ebenso wichtig ist wie als kapitalistische Ergänzung der eigenen, chronisch bankrotten Staatswirtschaft. Mit dem Tod al-Hariris wurde einmal mehr deutlich, dass ohne eine grundlegende Lösung des Nahostkonflikts ehrgeizige Aufbauprojekte im Beiruter Stadtzentrum auf politischem Treibsand errichtet werden.

Ein paar Meter weiter ist es dann gleich schon wieder vorbei mit dem Glimmerlack, drängen sich die übervölkerten Viertel der Unterschichten bis dicht an die Stadtautobahn und die breiten Promenaden, die die Downtown wie ein Cordon sanitaire hermetisch umschlingen. Zwar werden bald die letzten Flüchtlinge umgesiedelt, die Kriegsruinen saniert und erfolgreich gentrifiziert sein. Doch für die Bewohner der übervölkerten Unterschichtviertel von Ras al-Nabaa und Masraa ist die Welt der Downtown so weit entfernt wie die von der Erde abgewandte Seite des Mondes.

„In einem dieser Cafés sind wir sofort 20 Euro los“, rechnet Nana vor, die mit Mann und Kind im Palästinenserlager Mar Elias lebt, „dafür essen wir zu Hause vier volle Tage.“ Der Lebenshaltungskostenindex der Mercer Human Resource Consulting sieht Beirut in seinem weltweiten Index auf Platz 25 – teurer als Singapur oder Sydney und weit vor allen anderen arabischen Hauptstädten. Bei einem Familieneinkommen von 400 Dollar, mit dem Nanas Dreipersonenhaushalt auskommen muss, kommt da allenfalls noch Windowshopping in Frage.

Gerne würden Beiruter Investoren und Politiker (meist dieselben Familien und oft dieselben Personen) dieses und andere Squatterviertel von der Landkarte ausradieren – nur wenige Meter weiter kostet der Quadratmeter Eigentumswohnung bis an die 4.000 US-Dollar. Zwar stehen viele der neuen „Center“ und Hochhaustürme jahrelang leer, doch die Besitzer hält das nicht davon ab, einen nach dem anderen in die Höhe zu ziehen. Woher das viele Geld bei so wenig Rendite immer wieder kommt, ist Objekt vieler Mutmaßungen, in denen meist das Fluchtkapital arabischer Potentaten eine große Rolle spielt oder aber die über den ganzen Erdball verbreitete libanesische Diaspora – besonders die in Kolumbien.

Doch gegen die pure Masse der aus allen Ecken des Libanon, Syriens und nun auch des Irak an den Stadtrand von Beirut strömenden Migranten sind auch die Immobilienmoguln machtlos. Eine halbe Million Menschen beherbergen die Kasernen der südlichen Vorstädte, die mehr als drei Kilometer millionenträchtige Küstenlinie der Verwertung entziehen. Weite Promenaden, Einkaufszentren und luxuriöse Apartmentblocks sahen die Planer auch hier vor – doch die Pläne scheiterten vorläufig an der Höhe der Kompensationen, die die Squatter mithilfe ihrer politischen Verbündeten wie der schiitischen Hisbollah durchsetzen konnten. Nun bleiben die Viertel weitgehend sich selbst überlassen, wird die geplante Schnellstraße in einem Tunnel unter dem Flughafen und dann durch eine ehemalige Müllhalde aus der Stadt geführt.