: berliner szenen Tanzen im Burger
Schönheit, Strenge, Geist
Nach der Lesung im Café Burger hatten wir Bewegungsdrang. Weil wir zu bequem waren, den Ort zu wechseln, benutzten wir die frisch eröffnete Tanzfläche und tanzten tapfer zu spanischem HipHop und deutschen Beatles. Meine Freundin hielt länger durch als ich, und als ich sinnierend beim Bier saß, sprach mich ein mitteljunger Mann an, den ich zuvor aus Langeweile angelächelt hatte.
Er leitete den Flirt mit einer Beschwerde ein: Der Song sei scheiße. An diesem Punkt des Gesprächs waren wir noch einer Meinung. Übergangslos bemerkte er: „In Polen sind die Frauen viel besser angezogen als hier und sehen auch besser aus.“ Dann wollte er wissen, wo ich herkäme. Aus Neugierde, was mit seiner These passieren würde, sagte ich: „Aus Polen.“ – „Nein“, rief er spontan, wusste dann aber nicht weiter. Ich sagte, in Göttingen würde man sich erzählen, dass die Frauen in Berlin viel schöner seien als dort. Das war frei erfunden. Er sagte: „Ach, du kommst aus Göttingen, dann bist du bestimmt so eine Intellektuelle, die ihren Doktor in Philosophie macht.“ Ich ließ die Fehlbemerkung im Raum schweben. Er wollte wieder wissen, wo ich herkäme. Ich sagte, ich hätte keine Lust mehr, von mir zu erzählen. Nun warf er mir Strenge vor und heftete sich an meine Freundin, die kurz darauf aufhörte zu tanzen. „Der Typ hat gesagt, du würdest ihn hassen“, lachte sie.
Tags darauf erfuhr ich von einer anderen Freundin, dass man diesen Ort nach den Lesungen schnell verlassen müsse, wenn man nicht eines viel zu kritischen Geistes oder einer zu distanzierten Haltung bezichtigt werden wolle, die nicht mal Körperkontakt dulde. Nun brauche ich nicht wieder zu glauben, die ganze Welt hätte eine Vollmeise.
KATHARINA HEIN