: Fischer – Der Roman
Was haben die deutschen Diplomaten wirklich gegen den Außenminister? Joseph von Westphalen gilt als Experte für das Auswärtige Amt. Eine literarische Expertise
VON JOSEPH VON WESTPHALEN
Spezialisten. Experten. Man kennt die Realsatire. Sie werden zugeschaltet oder sitzen in der ersten Reihe von Talkshows und werden dann aufgerufen: Inland-Ethno-Soziologen, wenn von Unterschichten die Rede ist, Stress-&-Traumata-Psychotherapeuten bei der Frage nach dem seelischen Verkraften von Katastrophen, Juden, wenn es um jüdische Belange geht, Adelige, wenn Adelsauswüchse kommentiert werden sollen. Zum Glück keine Neonazis, wenn das Neonaziproblem verhandelt wird, dann aber seltsame Neonazistreetworker. Sachbuchautoren werden gerufen, wenn es um ihre Sache geht.
Die Billigform der Expertenabfrage geschieht im Hörfunk mittels Telefoninterview. Da ich mit einem adeligen Namen behaftet bin und gleichzeitig als adelskritisch gelte, klingelt immer dann das Telefon, wenn die Queen nach Deutschland kommt oder der Preußenprinz öffentlich gepinkelt hat. Dann bitten sie mich in einem dreiminütigen Telefoninterview um meine Meinung und fallen mir ins Wort, wenn die zu unflätig ausfällt.
Als ich die Queen eine Spießermutti in einem kittelschürzenscheußlichen Horrorkleid nannte und anschließend Horst Köhler als ihren ideal passenden Tischherrn würdigen wollte, mochte das mein Befrager nicht hören. Adelsfragen lehne ich seitdem ab. Zur heutigen Hochzeit des traurigen Charles habe ich mich nicht geäußert.
Belletristen werden eher selten als Experten gerufen. Was haben schon Romane mit der Wirklichkeit zu tun? Da ich aber mal einen Roman geschrieben habe, dessen Titel wie ein Sachbuch klingt – „Im diplomatischen Dienst“ –, gelte ich nicht nur in Adels-, sondern auch in auswärtigen Angelegenheit manchmal als Experte.
Der Roman handelt von einem leider erfundenen aufsässigen Diplomaten namens Harry von Duckwitz. Das Buch von 1991 ist überraschend präsent, sehe ich nicht ohne Stolz: Wenn man den Titel bei Google eingibt, kommt als zweiter von 7.570 Einträgen mein Roman, noch vor dem wirklichen diplomatischen Dienst im Auswärtigen Amt.
Immerhin das ein Sieg der Literatur.
Vielleicht ist das der Grund, warum sich manche Radioleute, die eine aktuelle Sendung über den in Bedrängnis geratenen Außenminister Joschka Fischer aus dem Ärmel schütteln sollen, an den Roman erinnern und den Wunsch verspüren, ein Telefoninterview mit dem Verfasser zu führen.
Wenn man einen Roman schreibt, der in einem Milieu spielt, das man nicht kennt, muss man recherchieren und die Recherchen mit passenden Fantasien ergänzen, wobei das Fantasieren nichts Geheimnisvolles ist, sondern mehr ein literarisches Hochrechnen.
Wenn ich weiß, wie ein liberaler Diplomat in Kuba tickt und was er von seinem reaktionären Vorgänger hält, und wenn ich einen Konservativen von den USA schwärmen und Spitzen gegen seine linken Kollegen vorbringen höre, dann lerne ich den Sound dieser Branche kennen und auch ein paar Prototypen, die ich vermehren und politisch umfärben, mühelos in jedes beliebige Land versetzen und dort herumjammern lassen kann.
Die Richtigkeit der Hochrechnung ergibt sich aus dem Feedback. Bald kam mir aus dem Inneren des Auswärtigen Amts zu Ohren, dass etliche Exemplare meines Romans in der Bibliothek der Diplomaten-Ausbildungsstätte gelandet und ständig ausgeliehen waren. „Pflichtlektüre“, heißt es neckisch. Im Lauf der Jahre haben mich paar Dutzend Diplomaten gefragt, woher ich gewisse Interna weiß, und konnten nicht glauben, dass es sich um Imaginationen handelte.
Ich kann mich als Experte nicht auf Fakten, sondern nur auf meine Vorstellungskraft berufen, die allerdings ständig mit Zurufen aus der diplomatischen Wirklichkeit gespeist und gesteuert wird und so falsch nicht sein kann. Trotzdem ist mir in der Rolle des befragten Experten denkbar unwohl. Lieber, als meine Ansichten über das Telefon in den Äther zu stammeln, verpacke ich sie literarisch. Wenn ich heute einen Roman zu schreiben hätte, der im heutigen diplomatischen Dienst spielt, würde ich meinen Helden Harry von Duckwitz wie folgt reflektieren lassen:
2. Fischer – der Roman
Der Wurm, fand Duckwitz, steckte nicht im System sondern wieder mal im Leben: Man war nett und richtete damit Schaden an. Das war das Problem. Ein Tort! Eltern hatten ihre Kinder freundlich erzogen, die sich dann als arbeitslose Studienabgänger prompt beklagten, nicht hart genug hergenommen und für das Leben gestählt worden zu sein.
Freundliche Diplomaten in der Ukraine waren einmal keine scheißdeutschen Pflichtbeamten gewesen, sondern angenehme Leute, sie hatten armen Menschen entgegenkommend die begehrten Visa ausgestellt – und der Lohn der Großzügigkeit war nun Skandal und Kritik von allen Seiten. Das Amt musste Fehler einräumen und die Schuld verteilen, obwohl es eigentlich keine Schuld gab.
Wie sympathisches Verhalten ins Unglück führt: Stoff für eine antike Tragödie. Der ein oder andere im Amt musste geopfert werden. Der Minister stand noch auf den Beinen, aber er war etwas wackelig geworden. Und dann war da die Sache mit den Nachrufen. In einer internen Broschüre wurden auch ehemalige verstorbene Diplomaten mit ein paar ehrenden Worten bedacht. Auch das eine Freundlichkeit, die unklug war – auf andere Art. Denn leider hatte Adenauer nach dem Krieg aus Mangel an Personal und frischen Einfällen den diplomatischen Dienst zu zwei Dritteln mit alten Nazis bestückt.
Es gab dann später einen Außenminister namens Scheel, der hatte sich vorgenommen, die schlimmsten Altnazis aus dem Amt zu entfernen. „Flaschensammlung“ hatte die Aktion intern geheißen, die auch mit einer erstaunlich undeutschen Ungründlichkeit durchgezogen worden war – eben mit dem Ernst einer Flaschen- oder Altkleidersammlung. Immerhin konnten einige braune Zecken dem Amt aus dem Fell gedreht werden. Leider wurden Altnazis uralt, sie waren immer noch nicht alle tot, es gab immer noch welche, die starben und die ehrende Worte bekamen. Als dem traditionell antifaschistischen Minister das klar gemacht wurde, ließ er die Unsitte sofort verbieten.
Worauf rechte Diplomaten in der rechten Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf eigene Kosten Anzeigen mit ehrenden Gedenkworten für die alten Nazis veröffentlichten. Ein Affront! Der rot-grüne Minister war einigen wenigen alten Säcken von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Nur seine Beliebtheit zu Hause und in der Welt hatte sie ein paar Jahre empört schweigen lassen. Nun war der einst drahtige Minister selbst ein dicker alter Sack geworden, und zudem ein angeschlagener. Diese Situation nutzten ein paar Diplomaten aus.
Der deutsche Botschafter in Bern hatte einen Brief an Minister Fischer geschrieben und dafür gesorgt, dass sein Inhalt öffentlich bekannt wurde. Der Minister wurde darin als miserabler Krisenmanager bezeichnet. Botschafter in der Schweiz zu sein, war natürlich das Gegenteil der berühmten „Herausforderung“, die ein moderner Spitzenjob ja sein sollte. Ein Schnarchposten. Was bitte gab es in Bern zu tun? In der Regierung Kohl hatte er bessere Karten gehabt. Leiter des Planungsstabs war er gewesen: Hoffnung auf mehr Höhe. Schon klar, dass so einer sich seit Jahren grämt. Jetzt, an der Pensionsgrenze, führte er mit Hilfe der schneidig sekundierenden konservativen Presse den Aufstand gegen Fischer an, weil der die netten Nazi-Diplomaten-Opas nicht mehr würdigen lassen wollte. Dass Botschafter derart frech wurden, hatte es bisher nicht gegeben.
Harry von Duckwitz, der rote Baron, der zu Zeiten Genschers und Kinkels als der wüsteste Kanzler- und Ministerbeschimpfer gegolten hatte, war nach außen hin immer noch loyal gewesen. Er hatte bei Empfängen den Kanzler ungeniert als Schwein bezeichnet, das schon, aber er hätte nie auf öffentlichen Wegen solche unappetitlichen Putschversuche unternommen. Dass gegen den behäbig und konservativ gewordenen exrevolutionären Minister nun ausgerechnet von Ribbentrop-rechtsaußen rebelliert wurde, dass im AA tatsächlich noch immer dutzendweise Nager hockten, die allesamt mit der Gnade der späten Geburt gesegnet waren, heute Anfang-60-Jährige, die wie die 60-Jährigen von 1968 dachten und ihr Rattenschnäuzchen aufrissen – das hatte Duckwitz nicht erwartet.
Die konservative Presse bauschte wie immer auch diese Farce zu einem Theater auf und versuchte so, ein Abtreten des Ministers herbeizuschreiben. Überall war zu lesen, wie unbeliebt der einst beliebte Mann nun geworden war. Dabei hatte sich im Amt selbst nicht viel geändert. Unter den verschiedensten Ministern war der Job eines Diplomaten doch immer sehr gleich. Neue Mitglieder des Auswärtigen Amts begriffen nach einer Weile, dass sie zur diplomatischen Untätigkeit verdammt waren, und hatten fortan gut zu tun, ihre Nichtsnutzigkeitsgefühle zu verdrängen.
Zu tun gab es mehr als genug. Neben idiotischen Repräsentationspflichten waren noch viel idiotischere Büroarbeiten zu verrichten. Sie hatten sich ihr Leben bedeutender vorgestellt. Je bedeutender ein Minister in der Weltgeschichte umherschritt, desto unbeliebter war er. Der farblos mümmelnde Kinkel war daher im Amt vielleicht sogar weniger unbeliebt als der putenhaft schnatternde Genscher. Die Fans des jetzigen Ministers wurden immer weniger, aber das war eine natürliche Verschleißerscheinung und hatte nichts mit den so genannten Affären zu tun.
Wenn die Stimmung im AA sich verschlechtert hatte, dann hatte das so gut wie nichts mit dem schwindenden Glanz des Ministers zu tun, und auch die rechten Ratten waren keine Plage. Ihr Quietschen wurde vom Gros der Angehörigen des Auswärtigen Amts nicht beachtet und nicht ernst genommen.
Nur wenige hassten den Minister so sehr, dass sie ihm einen Sturz an den Hals wünschten. Das war mehr ein Phantomwunsch rechter Journalisten und ihrer Leserschaft. Immer noch besser der als mancher andere. So dachten sie meisten im Amt. Nicht anders als die Bevölkerung.
Kein normaler Mensch lässt sich die Stimmung von einem Chef verderben, den man kaum zu Gesicht bekommt. Ein großer Teil der Beamten saß ohnehin auf dem Auslandsposten, und was im weit entfernten Berlin passierte, ging einem am Arsch vorbei. Visa, Nachrufe und saublöde Artikel in der FAZ – geschenkt. Da hatten die Journalisten wieder mal mit den Ratten gesprochen. Was wirklich an die Nieren ging, war das, was den Leuten in allen Ministerien und Behörden an die Nieren und auf die Nerven ging: Die Haushaltseinsparungen und damit die immer schlechter werdenden Beförderungsaussichten.