: „Das ist mir fremd“
Einer Bischöfin reicht die Beerdigung in TV-Kurzfassung
taz: Bischöfin Käßmann, fällt es Ihnen schwer, den Trauergottesdienst für den Papst in Rom anzuschauen – so viel Pomp, das ist nicht gerade protestantische Schlichtheit und Strenge?
Margot Käßmann: Es ist sicher ein ganz römisch-katholischer Vorgang, das ist schon deutlich. Ich werde das heute Abend in der „Tagesschau“ dann in einer Zusammenfassung sehen.
Reizt Sie das nicht, sich etwas an diesem barocken Pomp zu delektieren?
Das bleibt für mich ganz fremd. Da merke ich doch, wie evangelisch ich bin. Das Papstamt ist eben, wie schon zu Luthers Zeiten, eine ganz römisch-katholische Angelegenheit.
Der Papst hat wieder alle Aufmerksamkeit auf sich konzentriert: Ärgert Sie das insgeheim?
Ärgern ist der falsche Begriff. Aber wir müssen sehen, dass der Preis für das, was ich in der evangelischen Kirche ganz großartig finde, nämlich die Meinungsvielfalt, natürlich auch bedeutet, dass wir nicht eine Person haben, die die ganze Kirche repräsentiert. Bei uns kann jeder und jede aufstehen wie Luther in Worms und sagen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen.“
Der Gedenktag für Bonhoeffer am Samstag geht in all dem Papsttrubel völlig unter, oder?
Für uns Evangelische nicht. Die Ermordung Dietrich Bonhoeffers und sein ganz spezifischer Weg, sind für uns ein wichtiges Zeugnis. Ich denke in diesen Tagen manchmal an die vielen in unserem Land und in aller Welt, die ganz einsam und vergessen sterben. Die extrem hohe öffentliche Aufmerksamkeit beim Tod des Papstes zeigt wohl eine Sehnsucht nach Zugehörigkeit in einer Gesellschaft, der es an Bindungen fehlt.
Wird angesichts der Massen, die nach Rom pilgerten, worin sich offenbar ein Bedürfnis zeigt, auch in der evangelischen Kirche wieder die Diskussion anfangen, inwieweit der Papst ein Sprecher der ganzen Christenheit sein könnte?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Diskussion noch einmal aufflammt. Das Papstamt ist ein römisch-katholisches. Ich bin aber sehr dafür, dass wir Repräsentantinnen und Repräsentanten haben, die unsere Kirchen weltweit zu Gehör bringen.
Und der Papst als Primus inter Pares: Ist das vorstellbar?
Für mich nicht, weil das Papstamt mit seinem Weihestatus und seinem Unfehlbarkeitsdogma einem evangelischen Amtsverständnis einfach völlig widerspricht.
Viele Gläubige haben gesagt: „Im Grunde hat uns das gefallen, dieser moralische Rigorismus des Papsts, an dem konnten wir uns reiben.“ War die evangelische Kirche in den vergangenen Jahrzehnten zu sehr am Zeitgeist orientiert?
Sicher sagen das derzeit manche, aber ich halte das für eine Fehleinschätzung. In der Bundesrepublik nehmen Katholikinnen genauso Verhütungsmittel wie Protestantinnen, also wird die inhaltliche Position ja gar nicht umgesetzt. Sie wird respektiert, aber nicht geteilt. Gerade im Zeitalter von Aids und in Hinsicht auf die Situation von Frauen in Afrika, Asien und Lateinamerika, halte ich manche Positionen des Vatikans auch christlich nicht für verantwortbar.
Aber offensichtlich ist doch, dass sich die Leute an einem moralisch strengen Mahner auch orientieren können.
Ich kann die Verantwortung des Einzelgewissens nicht an eine andere Stelle, eine andere Instanz delegieren. Das ist die reformatorische Grundüberzeugung. Der einzelne Mensch muss Verantwortung vor Gott und den Menschen übernehmen. Das kann uns niemand vorgeben: Kein Papst, keine Bischöfin, keine Lehre, kein Amt.
Es gibt auch eine Debatte über eine Liturgie- oder Gottesdienstreform in der evangelischen Kirche: Ob man nicht tatsächlich etwas sinnenfroher, meinetwegen katholischer werden sollte. Ist das, was in Rom passiert, dafür ein Beleg?
In Rom, glaube ich, geht es darum, dabei zu sein bei einem Weltereignis, das ist das allerstärkste Motiv. Aber dass wir in der evangelischen Kirche sinnenfroher werden dürfen, davon bin ich überzeugt: Dass Glaube mit allen Sinnen wahrgenommen werden kann – da hat der Protestantismus tatsächlich einen Nachholbedarf.
Haben Sie heute schon gebetet für den Papst?
In der Fürbitte nehme ich alle auf, die mit Leben und Tod konfrontiert sind.INTERVIEW: PHILIPP GESSLER