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Archiv-Artikel

nebensachen aus chișinău Wie ein kleiner Schein doch noch eine große Wirkung erzielen kann

Man hätte es ahnen können: Es ist der erste Flug an diesem Morgen von der moldawischen Hauptstadt Chișinău nach Budapest. Abflugzeit 6.00 Uhr, die Abfertigung beginnt anderthalb Stunden früher. Die Gesichter der ersten Schicht des Flughafenpersonals sind genau so zerknauscht wie ihre Uniformen. Mein Bekannter, Wladimir, dessen Eltern mir konkurrenzlos günstig für acht Tage ihre Wohnung untervermietet hatten, nimmt umarmt mich kurz und wünscht mir eine gute Reise.

Das sieht der Beamte an der ersten Kontrolle offenbar anders. „Wo ist die Anmeldung?“, fragt er barsch, nachdem er länglich den Pass besichtigt hat, und grinst schäbig. Wladimir mimt den Ahnungslosen. „Welche Anmeldung?“, stammelt er. „Das ist meine Freundin. Sie hat ein paar Tage bei mir gewohnt.“ Mein Blick fixiert den breiten Ehering an Wladimirs linker Hand. Er ist 29, ich 11 Jahre älter. Jetzt beträgt der gefühlte Altersunterschied mindestens 20 Jahre – allerdings zu meinen Ungunsten.

Der Beamte nuschelt etwas in sein Funkgerät. Einige Minuten später rückt die nächsthöhere Charge an und führt uns in einen abgeschlossenen Trakt des Flughafengebäudes. „Wie heißen Sie?“, fragt er meinen Begleiter und wird gleich ganz familiär. „Wladimir“, sagt er und bemüht sich, höflich zu klingen. „Wenn Sie einen Ausländer bei sich aufnehmen, müssen Sie den innerhalb von drei Tagen anmelden. Das sollten Sie als Staatsbürger der Republik Moldau wissen. Jetzt erkläre ich Ihnen die Prozedur. Wir streichen Ihre Freundin von der Passagierliste, Sie beide fahren nach Chișinău zurück, gehen zum Gericht und bezahlen 50 Minimalgehälter Strafe.“

Mir graust – nicht davor, umgerechnet 100 Euro zu entrichten, sondern bei dem Gedanken, ein neues Ticket beschaffen zu müssen. Bis auf drei Ausnahmen haben sämtliche Fluggesellschaften die Republik Moldau aus ihrem Flugplan gestrichen.

Der Beamte räuspert sich. „Naja, es sei denn …“ In Sekundenschnelle taxiere ich meine Barschaft – 150 Euro. Wenn er mehr will, habe ich ein Problem.

Derweil geht Wladimir in die Offensive, wohl wissend, dass die Gesetze der Republik Moldau von Fall zu Fall auch durchaus kreativ ausgelegt werden können. „Sie muss unbedingt zurück … Sie verstehen. 10 Euro, geht das in Ordnung?“ Der gesetzestreue Flughafenbedienstete überlegt kurz, nickt und lässt den Schein schnell in seiner Tasche verschwinden.

Drei Minuten später stehe ich wieder vor der ersten Kontrolle. Mir ist unbehaglich. Fängt jetzt alles noch mal von vorne an? Oder ist eine Order per Telefon erfolgt, die unangemeldete Ausländerin unbehelligt ausreisen zu lassen? Ich werde gleich durchgewunken. Kurz darauf klingelt mein Handy. „Alles in Ordnung?“, fragt Wladimir. Ich bejahe, habe aber schon den nächsten Uniformierten vor mir. Der lässt sich bei der Lektüre meines Passes und der Inspektion meiner Tasche Zeit, mich aber letztendlich durch.

Das letzte Hindernis naht, ein Glaskasten mit der Aufschrift „Passkontrolle“. Nach wenigen Minuten drückt der mürrisch dreinblickende Mann den Ausreisestempel in meinen Ausweiß. Endlich stehe ich in der Abflughalle. Wieder klingelt mein Handy. „Alles klar“, versichere ich Wladimir. Aus einem Lautsprecher ertönt der Aufruf für den Flug nach Budapest. Ich gehe auf das Gate zu und denke: Jetzt habe ich nicht nur einen Bekannten, sondern auch einen Freund in Chișinău. Das ist mir mindestens 10 Euro wert. BARBARA OERTEL