ausgehen und rumstehen
: Nicht mehr grummeln: Untätig in Wien und wohlig in Berlin

Ich war sehr unversöhnt mit der Stadt. Ich hatte andere Plätze gesehen und bereist, weil in Berlin noch immer der Wind über leere Straßen und Plätze pfiff und sich mein Herz verschloss. Zuletzt entzog ich mich der allgemeinen Mattheit und dem Tiefpunkt und floh nach Wien.

Dort hingen allerdings überall Wahlplakate, auf denen ernsthaft stand: „Wien darf nicht Istanbul werden“. Nachmittags zog ich mit Freunden über den ranzigen Prater. Mit einem Dosenbier in der Hand, um die Achterbahnen besser zu spüren. Der Prater war wie zu erwarten eine einzige große Teenie-Disse im Freien: Dance-Musik aus den frühen Neunzigern und irisierende Lichterketten, an denen jedes zweite Lämpchen nicht mehr blinkte. Ansonsten trösteten mich speckige Kaffeehäuser mit Obern, die sich als äußerst grantig entpuppten. Das war allerdings sehr angenehm, weil ich selbst gefälligst meine Ruhe haben und in Untätigkeitsstarre verfallen wollte. Das Unwirschsein wurde mir dann aber doch noch ausgetrieben. Ich ging Menschen beobachten, die sich im „berlinsten Club der Stadt“, der Fluc Mensa, verlustierten und in Beatles-Euphorie auf einem Konzert von Stereo Total herumtaumelten. Wäre in Berlin nicht passiert, dieser Begeisterungsrausch. Das war reizend und verblüffend.

Aber dann kam ich zurück, musste mich an der Nase fassen und erinnern: Hier in Berlin ist es mir doch am liebsten. Hier kann man Herzweh und Sehnsucht pflegen wie in keiner anderen Stadt: Zum Beispiel, als Herman Düne und Diane Cluck überm Kaiser’s am Kottbusser Tor aufspielten. Ich hatte es schon vergessen: Diese gediegene Kaputtness, baumelnde Kabel und heruntergefallene Deckenverkleidungen als großartige Grundlage des Nachtglücks.

Schön und einfach war meine Welt an diesem Abend, der Magen zog sich wohlig zusammen. Herman Dünes Musik fällt für Fachzeitschriften, das habe ich letztens gelesen, unter den Begriff „Anti-Folk“, so wie Moldy Peaches. Was diese Sache angeht: Die Feuilletons hatten letztens schwer damit zu schaffen, Adam Green jetzt zappelig und nervig und überhaupt nicht mehr tiefsinnig zu finden. Es wäre liebenswürdig, das einfach bleiben zu lassen. Dafür einsilbig sein, Herman Düne lauschen und ein Bier am offenen Fenster trinken. Es ist fast ein bisschen peinlich, doch man muss es so sagen: Herman Düne macht selig.

Die Menschen blickten sanft und weich. Sie sangen die ihnen vertrauten Zeilen und summten die zittrigen Lieder mit. Da beschloss ich, dass es nichts mehr zu grummeln geben soll.

Hinzu kommt, so dachte ich, dass die Luft draußen langsam lau wird und im Radio wieder jede halbe Stunde das Wort „Temperaturanstieg“ benutzt wird. Auf einmal behauptet jeder, er wäre ohne Kummer. Betrunkene Jungs tauchen im Straßenverkehr auf, die auf ihrem nächtlichen Heimweg vom Fahrrad fallen. Sehr früh des Morgens wird der Himmel hell, und Menschen gehen nicht mehr alleine nach Hause. Auf den Motorhauben und Windschutzscheiben finden sich klebrige Insektenspritzer und zerfledderte Flügelchen. An den Rändern der Landstraßen liegen totgefahrene zersauste Pelztierchen.

Genauso zerfleddert wie mein Herz nach dem Konzert von Herman Düne. Der Rest der Woche war im Übrigen recht unerheblich. Das ganze Pack im Frühlingstaumel und begierig nach Neuerungen und Blitzen, die ins Leben einschlagen. JANE FRÄNZEL