Pfusch am Lohn ist verboten

Der Mindestlohn auf dem Bau hat sich bewährt. Trotz vieler Schlupflöcher ist der Preisdruck gesunken und der Durchschnittslohn gestiegen

VON HANNES KOCH

Unternehmer, die die Löhne der Beschäftigten erhöhen – es gibt sie doch noch. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel, bei den Baufirmen in Magdeburg und Umgebung. „Trotz der Krise am Bau ist der tatsächlich gezahlte Lohn seit 1997 kontinuierlich gestiegen“, sagt Guido Henke. Er leitet als Hauptgeschäftsführer den Baugewerbeverband Sachsen-Anhalt, dem alle Betriebe bis zu 120 Beschäftigte angehören.

1997 war für die Baubranche ein entscheidendes Jahr. Kurz zuvor hatte die christlich-liberale Bundesregierung unter Helmut Kohl das Entsendegesetz formuliert und damit die Voraussetzungen geschaffen für die einen tariflich festgelegten Mindestlohn. Der gilt mittlerweile für alle Betriebe des Bauhauptgewerbes in Deutschland (siehe Kasten) und ebenso für ausländische Betriebe, die hier Aufträge erledigen. Nun zeichnet sich eine große Koalition auf Bundesebene ab, um die Regelung in andere Wirtschaftszweige zu übertragen – zum Beispiel in die Schlachthöfe Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens, in denen billige Wanderarbeiter das teurere einheimische Personal verdrängen.

Guido Henke und seine Bauunternehmen finden den Mindestlohn klasse. Noch viel besser fänden sie ihn allerdings, wenn er nicht nur für die Firmen des Bauhauptgewerbes gelten würde, sondern auch für alle die kleinen Krauter, die irgendwas mit Bauen zu tun haben: Fliesenleger, Elektroinstallateure, Maler und so weiter.

Konkursgefahr sinkt

Was macht die sachsen-anhaltischen Bauunternehmer so altruistisch, dass sie nicht nur einen Mindestlohn für ihre Beschäftigten akzeptieren, sondern auch seine Ausweitung fordern? Warum richtet sich ihr Bestreben nicht darauf, den Lohn der Arbeit unter die Mindestgrenze von 8,95 Euro zu drücken – spart doch Kosten?

„Das ist eine Erkenntnis der Vernunft“, sagt Baufunktionär Henke. „Wenn es den Mindestlohn nicht gäbe, würde das Preisdumping noch mehr zunehmen.“ Die segensreiche Wirkung des Mindestlohns besteht also darin, dass der Preiswettbewerb zwischen den Baufirmen verringert wird, indem Gewerkschaften, Arbeitgeber und Bundeswirtschaftsministerium gemeinsam einen Basislohn festlegen, den jedes Unternehmen seinen Arbeitnehmern bezahlen muss. Und geringer Preisdruck reduziert auch die Gefahr des Konkurses, mit dem viele Not leidende Bauunternehmen sowieso täglich rechnen müssen.

Zahlen, die die Sozialkasse der Bauwirtschaft in Wiesbaden zur Verfügung stellt, scheinen die Theorie vom freundlichen Bauunternehmer zumindest nicht zu widerlegen. Von 1997 bis 2001 ist der durchschnittlich gezahlte Brutto-Stundenlohn in Firmen des ostdeutschen Bauhauptgewerbes um rund 60 Cent auf 10,24 Euro gestiegen. „Der Mindestlohn ist ein Grund dafür“, heißt es bei der Sozialkasse. Wenn Hilfsarbeiter schon 8,95 Euro bekämen, dann würden die Firmenchefs einen gewissen Druck verspüren, qualifiziertere Arbeiter besser zu zahlen.

Klar ist aber auch, dass es Dutzende Möglichkeiten gibt, den Mindestlohn am Bau zu umgehen. Der findige Bauunternehmer kann einen relativ einfachen Weg wählen: Für die tariflich festgelegte Arbeitszeit von 39 Wochenstunden zahlt er den Mindestlohn – aber seine Leute arbeiten freiwillig und unentgeltlich ein paar Stunden mehr. Und schon sinkt die Bezahlung unter die gesetzlich festgelegte Grenze. Ebenso lassen sich Ein-Mann-Firmen aus Lettland, Irland oder Portugal anheuern, die dann als Betrieb gelten und eben nicht als Beschäftigte, die den Schutz des Mindestlohnes genießen. Eine ähnliche Variante für einheimische Dumping-Arbeiter heißt „Werkvertrag“. Für wenige Wochen abgeschlossen nutzt auch diese Form des Anstellungsverhältnisses eine Gesetzeslücke aus. Gar nicht zu reden von illegaler Beschäftigung, bei der die Eisenbieger und Betonierer noch nicht einmal eine Arbeitserlaubnis vorweisen können.

Zwei Klassen auf dem Bau

Wahrscheinlich befördert der Mindestlohn zwei parallele Entwicklungen: Einerseits schützt er das feste Personal der Baufirmen. Seine Lage verbessert sich sogar. Die Zahl dieser geschützten Arbeitsverhältnisse hat aber zwischen 1998 und 2001 um rund 250.000 abgenommen. Drum herum entsteht ein immer größerer Bereich, in dem alles möglich ist – bis zu Arbeitsverhältnissen, die an Sklaverei erinnern. Claus Schäfer vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Gewerkschaften fasst die Lage denn auch so zusammen: „Ohne Entsendegesetz und Mindestlohn wäre es schlimmer, aber so ist es noch schlimm genug.“