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Archiv-Artikel

Der Aufschrei wird lauter

GEGENPROTEST 10.000 demonstrieren in Magdeburg gegen die Neonazis

MAGDEBURG taz | Es ist eine verstörende Szene. Ein stiller, bedrückender Protest. Nur das metallische Klappern ihrer Fußketten auf dem Asphalt ist zu hören. Elf Menschen, hager, im Gesicht bleich geschminkt, die Augen im dunklen Ton unterlegt, gehen langsam die Straße hoch. Ihre grau-weiße Uniform erinnert an die Kittel von KZ-Häftlingen. Jetzt marschieren sie, stur, der Route der rund 1.200 Neonazis entgegen. „Für das Erinnern – Wir trauen um jeden Menschen, den wir an den Faschismus verlieren“, steht auf dem Transparent der kleinen Gruppe. 500 Meter weiter prangt ein Plakat der Rechten: „Im Gedenken an die deutschen Opfer“. Das ist Magdeburg an diesem Samstag.

Über 30 militante Kameradschaften haben in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt zu einem „Trauermarsch“ anlässlich des 67. Jahrestages des Luftangriffs am 16. Januar 1945 auf die Stadt Magdeburg aufgerufen. Der Marsch ist inzwischen eine der größten Neonazidemonstrationen Deutschlands.

Frank Strömer, 43, wohnt neben der Synagogengemeinde am Neustädter Bahnhof. Hier haben sich die Rechten in den letzten Jahren immer wieder für ihre Aufmärsche versammelt. Erst waren es noch 150, dann 400, dann wurden es immer mehr. „Früher liefen die völlig ungestört durch die Stadt“, sagt Strömer, „inzwischen erreicht das Thema hier so langsam die breite Öffentlichkeit.“ Da hat er recht.

Denn der Aufmarsch der Rechten in Magdeburg ist zu einer neuen Chiffre der Vorsicht geworden: 2.000 Polizisten sind da, im letzten Jahr waren es noch 1.300. Sowohl die Rechtsextremen wie auch die Gegendemonstranten kommen inzwischen aus der ganzen Bundesrepublik. „Es ist ja nicht damit getan, jedes Jahr die Nazidemo in Dresden zu blockieren – wenn die Neonazis dann in andere Städte ausweichen“, sagt Jonas Höltig aus Münster.

Doch mit dem Großereignis kam für Magdeburg auch die Auseinandersetzung um die Protestkultur. 10.000 Menschen zählt die Stadt am Ende des Tages in Magdeburg. Darunter Spitzenpolitiker wie Sigmar Gabriel, Claudia Roth und Gesine Lötzsch. 180 Vereine, Schulen, Gewerkschaften, kirchliche Einrichtungen, Parteien und Geschäftsleute organisieren Infostände, Konzerte, Diskussionen. Das ist das eine.

Böller, Flaschen, Steine, die auf Neonazis hageln. Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die Antifa. Am Abend werfen, so sagt es die Polizei, linke Aktivisten eine Betonplatte, Blumenvasen und „Sanitärkeramik“ auf Polizisten. Das ist das andere.

Doch es sind heute nicht die Autonomen, die die Neonazidemo lang aufhalten. Es sind vor allem elf Menschen, die wie KZ-Häftlinge aussehen und in einer Sitzblockade den Rechten den Weg versperren. Ruhig und berührt tragen Polizisten sie schließlich aus dem Weg. Es ist die stillste Situation des Tages.

MARTIN KAUL