: Schule für alle wird Schule für wenige
Mit gegensätzlichen Wünschen zur Schulpolitik sind CDU und SPD in die Kieler Koalitionsverhandlungen gegangen – und haben sich geeinigt. Die Details sind noch unklar, doch das Ergebnis lässt ahnen: Es ist ein Kompromiss um des Kompromisses willen
AUS KIEL ESTHER GEISSLINGER
„Ein Paket, das aus meiner Sicht für beide Seiten tragfähig ist“, so nannte die bisherige schleswig-holsteinische Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) den Kompromiss, auf den sich Union und Sozialdemokraten bei den Kieler Koalitionsverhandlungen in der Schulpolitik geeinigt haben. Das ist hübsch formuliert – man sieht förmlich, wie schwer die schwarz-roten Zwangspartner am Paket Schule schleppen. Über die Inhalte des Kompromisses sagt der Satz aber nichts.
Kein Wunder. Denn bekannt ist bisher nur, dass im nördlichsten Bundesland das dreigliedrige System erhalten bleiben und eine Gemeinschaftsschule als vierte Säule hinzukommen soll. Als „Nebeneinander der Systeme“ verkaufen CDU und SPD diesen Vorschlag. Wie die neue Gemeinschaftsschule genau aussehen soll, an wie vielen Standorten sie eingerichtet wird, ob die alte Gesamtschule zusätzlich erhalten bleibt – aus den Verhandlungsräumen drang bisher wenig Konkretes. Details seien noch zu klären, sagt Erdsiek-Rave.
Bernd Schauer, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), will den Kompromiss daher noch nicht generell verurteilen: „Auf die Details kommt es an – man muss also abwarten, wie die aussehen.“ Immerhin ahnt er: „Es wird auf eine Gemeinschaftsschule superlight hinauslaufen. Mehr war von der CDU nicht zu erwarten.“ Wo Gemeinschaftsschulen entstehen, könnten sie aber ein „positives Signal“ setzen: „Es geht mit Minitrippelschritten in die richtige Richtung.“
Vorsichtig reagieren auch die Grünen, die sich in der Schuldiskussion am weitesten vorgewagt hatten. Ihr Konzept „Neun macht klug“, von der Partei sogar bundesweit als Modell vorgeschlagen, ging noch über die Wünsche der SPD hinaus. „Die Debatte wird weitergehen“, sagte Grünen-Bildungsexperte Karl-Martin Hentschel gestern. Er habe ein Papier in der Schublade, mit dem die Grünen im Kieler Landtag für ihre Ziele werben wollen: „Denn ein Koalitionsvertrag ist noch lange kein Gesetz.“
Das Nebeneinander der Systeme hält der Grünen-Politiker für eine „Verschwendung von Ressourcen“. Hentschel fürchtet, dass die neue Gemeinschaftsschule ähnlich enden könnte wie die Gesamtschule: „Die Mittelschicht schickt ihre problemlosen Kinder aufs Gymnasium und ihre Problemkinder zur Gesamtschule – und hinterher heißt es, das System sei schlecht.“ Daher sei bei der Einführung einer neuen Schulart zumindest eine Evaluation nötig, die feststellt, was die Kinder tatsächlich gelernt hätten. Die Gesamtschule habe bei solchen Tests gut abgeschnitten – eine Gemeinschaftsschule, die über Konzept und Personal selbst entscheiden dürfe, werde ebenfalls Erfolge erzielen, hofft Hentschel. Auch auf Bundesebene bleibe das Thema für die Grünen weiter aktuell: „Pisa ist ja nicht weg.“
Dass der Kompromiss keine Ideallösung sein dürfte, ist auch den künftigen Koalitionspartnern offenbar klar. Was überhaupt für ihn spricht? Der CDU-Bildungsexperte Jost de Jager formuliert die Antwort so: „Er ermöglicht es beiden Seiten, das Gesicht zu wahren.“