Müll, der schmeckt und satt machen könnte

ÜBERFLUSS Täglich landen tonnenweise zubereitete Speisen im Abfall. Wir haben gefragt, wie Berliner Küchen und Läden damit umgehen

■ Heute beginnt die 77. Internationale Grüne Woche. An der weltgrößten Leistungsschau der Agrar- und Ernährungswirtschaft beteiligen sich über 1.600 Aussteller. Die Messe Berlin erwartet bis zum 29. Januar gut 400.000 Besucher.

■ Zu den politischen Themen zählen der Antibiotikaeinsatz in Mastbetrieben, der Tierschutz und die weltweite Ernährungssituation. Partnerland der Grünen Woche ist in diesem Jahr Rumänien.

■ Auch auf der Grünen Woche ist dieses Jahr niemand vor Friedrich Zwo sicher: In der Brandenburg-Halle gibt es aus Anlass des 300. Geburtstags des Preußenkönigs Pralinen mit einem Hauch von Kartoffelschnaps. (dpa)

VON PEZ, MAH, SEPU, PLU, KO

Kurz vor 20 Uhr an der Theke einer „Nordsee“-Filiale. In der Auslage ein gutes Dutzend Brötchen, belegt mit Matjes, Lachs, Backfisch. Auch Pommes und gebackene Garnelen schmoren noch unter der Heizlampe. In einer halben Stunde wird alles in der Mülltonne hinterm Haus liegen. Weggeworfen, obwohl es noch gut zu essen gewesen wäre. „Wir dürfen nichts mitnehmen oder kurz vor Schluss günstiger abgeben“, sagt die Verkäuferin. Warum? Die Frau zuckt mit den Achseln, sie weiß es nicht genau.

Kein Einzelfall: Schätzungen zufolge werden bis zu einem Viertel aller in Deutschland produzierten Lebensmittel weggeworfen – viele in einwandfreiem Zustand. Berlin ist keine Ausnahme, wie unsere Umfrage zeigt. Sie zeigt aber auch: Es gibt unterschiedliche Strategien, mit Resten umzugehen, die nach dem Lebensmittelhygienerecht nicht entsorgt werden müssen. Im Übrigen liegt es in der freien Entscheidung des Unternehmers, Waren günstiger auszuverkaufen oder zu verschenken.

Hotel Estrel

„Bei uns wird leider sehr viel weggeworfen. Bei einem Büffet für 1.000 Leute landen bis zu 300 Kilo in der Mülltonne. Aber den Vorgaben nach dürfen die Lebensmittel nur etwa 90 Minuten über 10 Grad warm sein, sonst können sich Keime bilden. Wir erlauben Gästen auch mal, was mitzunehmen – dann müssen sie aber unterschreiben, dass sie das auf eigene Verantwortung tun. Weiterverwenden ist bei gekochten Sachen natürlich unmöglich. Den Gästen ist das aber nicht bewusst: Die wollen nicht drei, sondern zehn verschiedene Salate, und wenn nach zwei Stunden eine Schüssel leer ist, schreiben sie später einen Beschwerdebrief. Deshalb kalkulieren wir mehr. Etwa ein Viertel des Essens ist von vornherein zum Wegwerfen bestimmt. Büfetts sind Umweltverschmutzung. Heute wäre es technisch problemlos möglich, auch für 1.000 Leute ein Menü anzubieten – da bekommt jeder genau das, was er will und essen kann, und am Schluss bleibt nur ein Zehntel übrig.“

Peter Griebel, Küchendirektor

Jugendherberge Wannsee

Lebensmittel, die übrig bleiben, gehen in die Biotonne. Aber das ist nicht viel. Wir kochen nur so viele Mahlzeiten, wie bestellt werden. Fürs Frühstück kalkulieren wir abhängig von der Zahl der Gäste, beispielsweise zwei Brötchen pro Person. Wenn da was übrig bleibt, wird das oft fürs Abendessen weiterverwendet.

Mario Krogulec, Leiter

JVA Tegel

„In der Männerhaftanstalt Tegel sitzen rund 1.700 Gefangene ein. Übrig bleibende Speisereste, Brot und Teigwaren entsorgt eine Fachfirma, die nutzt es zur Strom- und Wärmeerzeugung. Dabei ist es in den zurückliegenden Jahren gelungen, die Abfallmengen durch gezielte Konsumentenpolitik zu verringern. Beliebte Gerichte werden verstärkt angeboten, individuelle Essensmengen genauer erfasst. Die Folge ist, dass nicht mehr so viel Reserven wie früher vorgehalten werden müssen. Durch diese Küchenpolitik konnten wir die Abfallmenge von 156 Tonnen 2009 auf 110 Tonnen 2011 verringern.“

JVA-Sprecher Lars Hoffmann

Hotel Adlon

„Unsere Küche arbeitet auf Grundlage einer genauen Kalkulation, die abhängig ist von der Personenzahl. Was übrig bleibt, wird umgehend entsorgt. Aber so viel ist das nicht. In der Regel bekommen die Gäste auch bei Veranstaltungen Menüs, manchmal auch Büfetts – da bleibt eher etwas übrig. Aber wir sprechen im Vorfeld mit den Veranstaltern genau ab, was und wie viel benötigt ist. Das ist wirtschaftlich und ‚moralisch‘ im Sinne aller Beteiligten.“

Sabina Held, PR-Abteilung

Grüne Woche

„Unsere 1.600 Aussteller kalkulieren ganz gut. In den zehn Tagen der Grünen Woche bleiben rund 15 Tonnen Lebensmittel übrig, die wir an die Tafel weitergeben. Dagegen holt die Tafel von der Fruit Logistica rund 150 Tonnen ab – in vier Tagen. Das ist aber auch eine reine Fachmesse, und die Lebensmittel – Obst und Gemüse – können zu fast 100 Prozent weitergegeben werden. Dass da auf der Grünen Woche weniger anfällt, liegt weniger an der Häppchenkultur, als daran, dass bei uns mehr gekocht wird. Und alles, was die Kühlkette verlassen hat, müssen wir wegschmeißen.“

Thomas Rogall, Sprecher

DB-Betriebsrestaurants

„Früher wurden die Speisereste aus den Betriebsrestaurants der Deutsche Bahn AG eingesammelt, erhitzt und an Schweine verfüttert. Heute ist das verboten. Alles, was auf dem Teller zurück in die Küche geht, wandert in spezielle Behälter. Die werden gekühlt, von einer Entsorgungsfirma abgeholt und einer Biogasanlage zugeführt.“

Walter Lamprecht, Einkauf

tazcafé

„Essensreste, die auf dem Teller zurückkommen, werden in der Biomülltonne entsorgt und wandern in eine Biogasanlage. Was in den Töpfen übrig bleibt, wird eingefroren und später in einer Brühe oder als Auflauf verarbeitet. Auch das Personal ist ein dankbarer Resteverwerter.“

Chefkoch Christof

Nordsee

„Es gibt 16 Nordsee-Filialen in Berlin. Fisch und belegte Brötchen sind zeitlich sehr begrenzt haltbar. Reste mit Fisch können daher nicht an die Tafel abgegeben werden. Alles wird entsorgt.“

Pressesprecher Michael Scheibe

Caritas Altenhilfe

„In unseren Häusern richten wir uns beim Umgang mit Lebensmitteln nach der EG-Verordnung 852/2004 und der Leitlinie für eine Gute Lebensmittelpraxis in sozialen Einrichtungen, die vom Caritasverband und vom Diakonischen Werk verfasst wurde. Wenn es nach den Vorschriften möglich ist, Lebensmittel weiterzuverwenden, etwa durch Einfrieren, ist das in unseren Häusern die erste Wahl. In den Wintermonaten geben wir geeignete Lebensmittel auch an die Caritas-Wärmestube ab. Es kommt natürlich vor, dass Lebensmittel entsorgt werden müssen. Um deren Menge so gering wie möglich zu halten, arbeiten wir mit Mengenkalkulationen und einem internen Bestellsystem.“

Claudia Appelt, Sprecherin

Bio Company

„Büfetts sind Umweltver- schmutzung“

PETER GRIEBEL, KÜCHENDIREKTOR DES HOTEL ESTREL, NEUKÖLLN

„Nicht mehr verkaufsfähige Ware geben wir an die Berliner Tafel oder andere karitative Einrichtungen. Da gibt es Köche, die Ahnung haben, wie sie die Sachen gebrauchen können, aber auch das Lebensmittelrecht kennen und einen Joghurt, wenn er riecht, wegschmeißen. Stellen Sie sich vor, Sie haben gut gegessen, und dann kommt der Koch und sagt Ihnen, dass er das aus übrig gebliebenen Lebensmitteln zusammengekocht hat. Da bekommen Sie schon mal leicht den unbewussten Ansatz eines Durchfalls. Vorschriften, nach denen alle Regale etwa beim Bäcker bis Ladenschluss voll sein müssen, haben wir nicht. Aber es kommen auch Kundenmails mit Beschwerden, dass es um 18.45 Uhr ihr Lieblingsbrötchen nicht mehr gab. Das ist vertrackt.“

Pressesprecher Robert Erler

Steinecke’s Heidebrot

„Je nach Filialgröße geben wir im Durchschnitt 5 bis 7 Kilo an übrig gebliebener Ware am Abend zurück. Ein Unternehmen der Futtermittelwirtschaft holt diese bei uns ab und führt sie wieder dem Rohstoffkreislauf zu. Zudem geben wir wöchentlich Teile unserer übrig gebliebenen Ware in Reinickendorf an die Tafel ab.“

Geschäftsführerin Katrin Steinecke

Uni-Mensen

„Die Mengen der Mahlzeiten in den Mensen werden sorgfältig geplant, praktisch kommt es zu keinen nennenswerten Restmengen nach Schließung der Einrichtung. Deshalb stehen auch keine Lebensmittel für gemeinnützige Einrichtungen wie die Tafel zur Verfügung.“

Studentenwerk Berlin

Und was sagt die Tafel?

„Wir bekommen von 600 Supermärkten und über 100 anderen Unternehmen rund 1.000 Tonnen Lebensmittel im Monat. 660 Tonnen werden verteilt oder in Einrichtungen wie dem Kinder- und Jugendrestaurant verkocht. Gerade von vielen Supermärkten bekommen wir aber immer weniger Lebensmittel, weil sie besser planen. Gehen Sie mal am Samstagabend zu Aldi, da sind die Regale leer. Und das ist gut so, weil die Konsumenten endlich von dem Trip runterkommen müssen, sie könnten an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden lang alles kaufen. Und wenn die Unternehmen endlich weniger Überschuss produzieren, haben auch wir unser Ziel erreicht. Unser Hauptanliegen war immer die Verringerung von Verschwendung. Und nicht die Grundversorgung der Armen.“

Sabine Werth, Leiterin Berliner Tafel