Die Stunde der Scheinheiligen

CDU übt sich in der Abgeordnetenhausdebatte um Werteunterricht in alter Kalter-Kriegs-Prosa.SPD versuchte, die Diskussion zu versachlichen und trat gelassen auch gegen die Bundespartei

Von Tina Hüttl
und Uwe Rada

Kurz vor der Abgeordnetenhausdebatte über den geplanten Werteunterricht übte sich die Berliner SPD in demonstrativer Gelassenheit. Auf der Fraktionssitzung der Sozialdemokraten gestern standen andere Themen auf der Tagesordnung, zum Beispiel die Zukunft des Flughafens Schönefeld. Von Religions- oder gar Kulturkampf keine Rede.

Zuvor schon hatte SPD-Fraktions- und Landeschef Michael Müller die Parole ausgegeben: Versachlichung der Debatte. Mit dieser Selbstverpflichtung trat Müller dann auch im Abgeordnetenhaus ans Mikrofon. Er erklärte und warb, und er wehrte sich gegen Vergleiche mit DDR und der NS-Zeit. Immerhin war die aktuelle Stunde von der CDU mit der Begründung beantragt worden, man fühle sich an „sozialistische Blütenträume“ erinnert. „Die Kinder“, schimpfte die CDU-Abgeordnete Katrin Schultze-Berndt, „dürfen nicht zum Spielball Ihrer Ideologie werden.“

Etwas vorsichtiger in der Verpackung, aber gleich im Inhalt hatte zuvor der CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer argumentiert: „Ein verordneter Werteunterricht, der den Religionsunterricht an den Rand drängt, erhebt den Anspruch auf die staatliche Interpretationshoheit über Moral und Ethik. Und zwar einer Moral und Ethik, die uns SPD und PDS vorschreiben wollen.“

Auf derlei Kritik war die SPD vorbereitet. Doch die von Michael Müller zur Schau getragene Gelassenheit konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit kalt erwischt worden waren – und zwar von den eigenen Genossen aus der Bundes-SPD. „Ich wundere mich über die Schärfe der Auseinandersetzungen“, sagte Müller und verurteilte den „Populismus in der Bundes-SPD“. Gerade die Debatte um die Föderalismusreform habe gezeigt, wie wichtig den Ländern die Zuständigkeit für die Bildungspolitik sei. Überrascht zeigte sich auch PDS-Fraktions- und Landeschef Stefan Liebich. Es habe die ganze Zeit hinweg Übereinstimmung darin bestanden, dass es ein Mehr an Wertevermittlung an den Berliner Schulen geben müsse. Offenbar sei das Vorgehen der CDU nur der Versuch, endlich ein eigenes Thema in der Auseinandersetzung mit der rot-roten Koalition zu finden. „Ich wünsche dabei viel Glück“, so Liebich lakonisch.

Zur Seite standen Rot-Rot gestern die Grünen. „Was die SPD auf ihrem Parteitag beschlossen hat, entspricht auch unseren Vorstellungen“, sagte ihr schulpolitischer Sprecher Özcan Mutlu. Er forderte zugleich die Beteiligten auf, verbal abzurüsten. „Der Ton macht die Musik. Beschlüsse können nicht gegen die Schulen, Lehrer und Eltern durchgesetzt werden.“

Mit einiger Spannung erwartet wurde das Schlusswort von Bildungssenator Klaus Böger. War da etwa eine Distanzierung vom Parteitagsbeschluss der SPD und ein Augenzwinkern mit den Glaubenskämpfern Wolfgang Thierse und Gerhard Schröder zu erwarten? Böger, als Gegner eines Pflichtfachs Werteunterricht auf dem Parteitag unterlegen, musste enttäuschen. Ihm oblag es, die von Müller eingeforderte Versachlichung vorzutragen. „So viel wird sich gar nicht ändern“, sagte er in Richtung CDU. „In der Grundschule bleibt alles beim Alten, und auch danach wird es Religionsunterricht geben, wenn die Schüler und Eltern es wollen.“

Gleichzeitig verwies der Senator darauf, dass das heute oft nur selten der Fall sei: „In manchen Bezirken besucht kein einziger Schüler in der 7. Klasse den Religionsunterricht.“ Von einer Abschaffung oder gar einem Glaubenskrieg könne deshalb auch keine Rede sein.

Ähnlich sahen das auch 32 Schüler der Klasse 9 b des Leibniz-Gymnasiums in Kreuzberg. Teils amüsiert, teils gelangweilt verfolgten sie von der Pressetribüne die Sitzung des Abgeordnetenhauses. In der Schule, sagt die 15-jährige Nora, sei bislang nur der Lateinlehrer auf das geplante neue Fach eingegangen. Sie würde dann den Werteunterricht besuchen. „Natürlich nur, wenn er verpflichtend wäre.“ Da ist sie sich mit ihrer Mitschülerin Lisa einig: „Ohne Verpflichtung würde da niemand hingehen.“