: „Ohne wäre ich durchgedreht“
RESOZIALISIERUNG Es begann mit einem Buch, das ihm seine Frau ins Gefängnis mitbrachte. Dann merkte der Sträfling Dieter Gurkasch, wie gut ihm Yoga tat. Jetzt will er, dass auch andere Inhaftierte in den Genuss kommen
VON JULIA JOHANNSEN
„Männer sind besonders gut darin, sich hart zu geben und böse zu gucken“, sagt Dieter Gurkasch. „Im Gefängnis läuft eine Art Weltmeisterschaft darin.“ Er selbst verbrachte 25 Jahre seines Lebens in der Justizvollzugsanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel und wurde im Dezember 2011 frühzeitig entlassen. Wenn man mit ihm über Skype spricht, würde man nicht glauben, dass dieser strahlende Mann einmal ein Schwerkrimineller war.
1986 wurde der heute 50-jährige Gurkasch zu 13 Jahren Haft verurteilt – wegen Mordes, schweren Raubes, räuberischer Erpressung und Körperverletzung. Sechs Jahre verbrachte er in Isolationshaft, weil er mehrfach versucht hatte, aus dem Gefängnis auszubrechen; einmal gelang es ihm tatsächlich. Er war außerdem maßgeblich an der Führung einer Gefangenen-Revolte beteiligt. „Ich war voller Hass auf alles und jeden“, erzählt Gurkasch. „Ich dachte nicht eine Minute daran, meine kriminelle Karriere zu beenden.“
Das begann sich langsam zu wandeln, als er 1990 seine heutige Frau kennenlernte, die ihn regelmäßig in der Haft besuchte. Nach seiner Entlassung war er hin- und hergerissen zwischen dem gemeinsamen Leben mit seiner Frau und seiner kriminellen Lebensplanung. Er wählte – und wurde 1998 wegen bewaffneten Raubüberfalls und zweifach versuchten Totschlags erneut zu 12 Jahren Freiheitsstrafe und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
Eines Tages schickte ihm seine Frau ein Buch ins Gefängnis: „Lichtnahrung“. Dieter Gurkasch war nicht begeistert, entdeckte darin aber die „Unsterblichkeitsübungen der 5 Tibeter“. Gemeinsam mit seiner Frau lernte er die Übungen. „Schon nach ein paar Tagen hatte ich gute Laune“, sagt er. „Das war nur die Wirkung der täglichen Yogaübungen.“ Von da an stand er jeden Morgen um vier Uhr auf, machte seine Übungen, verschlang hunderte Bücher über Yoga.
2007 gründete er gemeinsam mit dem Pfarrer der JVA Fuhlsbüttel die erste offizielle Yogagruppe. Dafür wurde ihnen ein 90 Quadratmeter großer Konferenzraum zur Verfügung gestellt, es gab ein paar billige, dünne Yogamatten. Die JVA-Insassen erfuhren durch einen Aushang von der Gruppe.
Zur ersten Stunde kamen elf, zwölf Leute. Insgesamt haben bis heute rund 75 Häftlinge am Yoga teilgenommen, elf sind zurzeit noch dabei. „Ich habe immer wieder erlebt, dass die Leute mit grantigem Gesicht in die Yogastunde kamen“, erzählt Gurkasch, „und mit einem Lächeln gingen.“
2010 gründeten seine freien Mitstreiter eine weitere Yogagruppe in der JVA Hamburg-Billwerder, und eine Yogalehrerin aus der Schweiz sponserte neue Luxus-Matten. Bis heute gab es kein Geld für die Gruppen, die externen Yogalehrer unterrichten ehrenamtlich. „Wir sind in zwei Gefängnissen und wollen uns bundesweit ausbreiten“, sagt Dieter Gurkasch. „Das geht nicht ohne Geld.“
Mit dem Verein „Yoga und Meditation im Gefängnis“, den Dieter Gurkasch gemeinsam mit dem Pastor, Yogalehrern und einem Mitinsassen gegründet hat, soll sich das ändern: Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, Yoga und Meditation hinter Gittern als niederschwelliges Therapieangebot zu etablieren. Dabei sollen nicht nur die Insassen die Möglichkeit haben, an Yogakursen teilzunehmen, sondern bei entsprechender Akzeptanz auch die Bediensteten. Vorbild ist der „Prison Phoenix Trust“ (PPT), der in über 100 Gefängnissen in England und Irland Yoga und Meditation für Häftlinge und Personal anbietet.
Dieter Gukasch will sich mit seiner ganzen Kraft dafür einsetzen, Yoga als Werkzeug der Resozialisierung in die Gefängnisse zu bringen. „Ohne Yoga wäre ich durchgedreht.“ Heute sind seine Tage prall gefüllt: Er kümmert sich um den Verein, geht zum Arbeitsamt, trifft seinen Bewährungshelfer, und freut sich am Leben. „Es geht mir blendend“, sagt er, und man glaubt es ihm.