: berliner szenen Trinken und Sinken 2
Der kommt zur Polizei
Ich stand vor der Möbel Olfe, sah aber, dass es keinen Zweck hatte. Zu viele Leute. Da war an ein Gespräch gar nicht zu denken. Ich rief Conni an, die brauchte noch, da sie sich verfahren hatte, und ging in eine andere Kneipe um die Ecke, nicht hip, nicht schmutzig, nur ein bisschen verkifft. Guter Ort, um zu reden, guter Ort, um zu warten.
Doch vor der Kneipe sah ich mit Schrecken: Hier geht die Tür nicht auf. Ein Mann lag davor, ein zweiter saß im Schneidersitz, in seinem Schoß der Kopf des ersten. Der zweite schob die Tür auf und winkte mich näher, die Wirtin sagte, damit ich nichts Falsches denke: „Ein epileptischer Anfall, mein Gott, das wusste ich doch nicht, dass der das hat, so was, das wusste ich doch nicht.“ Ich dachte nichts Falsches. Der Sitzende sagte: „Kannst ruhig drübersteigen.“ Ich zögerte, zivilisiert, dann stieg ich drüber, in die Restkneipe, in der alle Unbeteiligten mit gehörigem Abstand standen oder saßen und glotzten.
Bald kamen die Helfer, ein Augenblick der Erlösung. Routiniert betraten sie den Raum, stiegen ohne Zögern über den Gefallenen und wischten die Unschuldsbeteuerungen der Wirtin mit einer Geste beiseite. Dann sahen sie, sich umdrehend, den Mann an. „Scheiße“, sagte der eine, der andere rüttelte den Mann: „Herr Meier, wir können Sie doch nicht schon wieder ins Krankenhaus bringen. Das ist jetzt das vierte Mal heute.“ Die Wirtin jammerte lauter, wurde beschwichtigt: „Da könnse nix für, das kommt öfter vor bei dem.“ „Und was machen Sie jetzt?“, fragte der noch immer Sitzende, dessen Fürsorge abrupt nachgelassen hatte. „Der kommt zur Polizei“, sagte der Sanitäter. Alle waren beruhigt. „So, jetzt kann ich Ihnen geben“, sagte die Wirtin erleichtert, sich mir zu wendend. JÖRG SUNDERMEIER