: Eine Art Literatur
Gladiatoren berühren und mitzählen: Bei „Wrestlemania – The Revenge“ in der Max-Schmeling-Halle gab es einiges zu lernen. Ein Erlebnisbericht
VON CHRISTIANE RÖSINGER
So ein Wrestling-Abend ist doch ein ganz besonderes Erlebnis. Hauptsächlich männliche Jugendliche sind zu „Wrestlemania – The Revenge“ in der ausverkauften Max-Schmeling-Halle gekommen, aber auch einige Familien. Es herrscht eine friedvolle, humorig-amüsierte Stimmung. Als Wrestling-Neuling muss man sich natürlich ein wenig vorbereiten und sich die Grundregeln vergegenwärtigen: Also. Beim Wrestling tut man sich nicht wirklich weh, alle Kampfsituationen werden vorher abgesprochen. Wrestling ist pure Unterhaltung und eigentlich ein literarisches Genre. Denn in dieser „Daily Soap aus Gewalt“, wie Fans den Sport nennen, stehen die „Writers“ im Hintergrund, entwickeln die „Storyline“, die Geschichte und Fehden der Kämpfer, legen den Charakter des Wrestlers fest.
Die Anfänge des Wrestlings liegen weit zurück, bereits Ende des 19. Jahrhunderts war Wrestling in den USA bekannt. Der Durchbruch kam in den 80ern, als die World Wrestling Foundation zum ersten Mal Wrestlemania veranstaltete. Nach dem Aufstieg zur Familienunterhaltung folgte die Trashzeit um 1990, in der Schurken und Psychopathen große Rollen spielten.
In Berlin wird „Wrestlemania“ mit einem großen Knall und einem Funkenregen eröffnet. Die ersten Matches geraten noch etwas unspektakulär, unbekannte Vor-Wrestler mühen sich ab, aber interessant sind die Rituale der Zuschauer. Sobald ein Wrestler am Boden liegt und angezählt wird, gehen die jüngeren Fans in Startposition und rennen dann wie die Wilden auf die Absperrungen zu, um den besten Platz zu ergattern. Beim Einzug der Gladiatoren versuchen sie, die Körper zu berühren und Handyfotos zu machen. Wird ein Wrestler mit Faustschlägen bearbeitet, zählt man mit, außerdem gibt es für jeden Kämpfer spezielle Begrüßungsrufe – ach, wer soll all diese Codes verstehen!
Beim Damenprogramm tritt Christy Hemme gegen Victoria an. Victoria gibt vor, verletzt zu sein, und während die gutherzige Cristy helfen will und den Ringrichter alarmiert, fällt die böse Victoria sie von hinten an. Cristy wird vom Schiedsrichter in eine demütigende Position gezwungen, kann sich aber durch einen Schlag in dessen so genannte Weichteile befreien.
Die Namen der „Moves“: Armbreaker, Kneebreaker, Facebreaker, Frankensteiner, sprechen für sich selbst, aber nichts sieht wirklich gefährlich aus, der Ringboden ist gefedert und mikrofoniert, sodass das Aufkrachen schön brutal klingt. Bald lernt man: Wrestler sind Illusionisten, alles ist angetäuscht, jeder Schlag wird abgestoppt. Wrestling ist hauptsächlich Schauspielerei, es gilt vor allem, die drei Basics an Gesichtsausdrücken zu beherrschen: Das Verdutzt-aus-der-Wäsche-Schauen, das schmerzverzerrte Leidensgesicht und Triumphieren. Ein bisschen dumm sieht es halt leider immer aus. Oder man stellt sich bewusstlos, liegt minutenlang unbeachtet auf dem Ringboden, wacht dann verwundert auf und wankt davon.
Interessant ist die Galerie der Männertypen, die da vorgeführt wird: Da gibt es die Steroid-Opfer, Männer mit Oberschenkeln wie Baumstämme, die aber gar nicht mehr menschlich wirken, sondern als große, unbeholfene Fleischkäfer eher Mitleid erregen. Sehr beliebt scheint der grimmige Muskeltyp à la „Conan der Barbar“ zu sein, aber auch blonde Naturburschen und sportliche Holzfällertypen kommen gut an.
In den vielen Matches wiederholt sich einiges, alles ist recht vorhersehbar. Je näher es dem Ende zugeht, je berühmter die Wrestler sind, desto weniger wird gekämpft. Fazit dieses ersten Wrestling-Erlebnisses bleibt: Wie so oft sieht im Fernsehen alles echter aus als in der Wirklichkeit – aber schön war es doch!