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Archiv-Artikel

Ich kann sehen

KORREKTUR Unsere Autorin hat sich vor vier Wochen ihre Augen lasern lassen – und bereut trotz Schmerzen nichts

Der grüne Punkt wird größer und größer, verschwimmt – dann riecht es nach verbrannter Haut

VON MARIA ROSSBAUER

Einen Tag vor der Operation sitze ich im 17. Stock eines Hochhauses am Berliner Kurfürstendamm und blicke über die Lichter der Stadt. Noch einmal wollten die Optiker meine Augenstärke vermessen, die Krümmung meiner Hornhaut – bevor ein Laser meine Augen sehend machen sollte.

Ich kriege Tropfen, die meine Pupillen so sehr weiten, dass ich wie ein LSD-Junkie aussehe. Im Warteraum sitzen noch andere Laser-Willige. Heinrich Pieper, der Augenchirurg – ein hagerer Mittfünfziger mit grauen Haaren –, lässt sich in einen der lila Stühle fallen. „Gibt’s noch Fragen?“ Er guckt über seine schmale Lesebrille in die Runde. „Kann ich blind werden?“, fragt einer. „Ja, einmal hab ich so was erlebt“, sagt Pieper. Er erzählt von einem Patienten, der falsch gelasert wurde. Pieper konnte eines der Augen retten, sagt er, das andere könnte man nur durch Hornhaut-Transplantation wieder hinkriegen.

Mir wird flau im Magen. Aber kneifen kommt nicht in Frage. Ich will sehen. Schließlich hatte ich fast zehn Jahre auf diesen Tag gewartet.

Damals hatte ich zum ersten Mal vom Lasern gehört. Und wollte es am liebsten sofort machen. Nur: „Für eine Laser-Operation muss die Sehstärke über längere Zeit stabil sein“, sagte meine Augenärztin. Sonst hat man schnell danach doch wieder eine Brille auf der Nase. Meine Augen wurden aber mit der Zeit schlechter und schlechter. Ich hatte den Traum vom Sehen schon fast aufgegeben. Doch im letzten Jahr hieß es plötzlich: Nun könnte es klappen. Meine Augen hatten länger als ein Jahr einen Wert von minus 4,25 und minus 4,75 Dioptrien.

Ich las in Fachblättern über das Lasern: Bei Kurzsichtigkeit wird eine Schicht der Hornhaut, die äußerste Haut des Auges über der Pupille, weggedampft. Und zwar genau so viel, dass diese künftig mein Weltbild direkt auf die Netzhaut im hinteren Auge projiziert. Bisher wurde das Licht zu stark gebrochen, daher meine Kurzsichtigkeit. Der Laser kommt dabei gar nicht in die Nähe von Sehnerv oder Netzhaut, also keine Gefahr, blind zu werden, dachte ich. Und er schaltet sich automatisch ab, wenn der Operierte die Augen bewegt. Wovor also Angst haben?

Mit der Operation selbst, einem Haufen Medikamenten und Vor- und Nachuntersuchungen kostete mich mein Traum vom Sehen um die 2.200 Euro. Lohnt sich, dachte ich mir. Schließlich sind Kontaktlinsen auch nicht umsonst – und der Gedanke, beim Aufwachen aus dem Fenster sehen zu können, schien mir sowieso unbezahlbar.

Es gibt verschiedene Laser-Methoden, ich entschied mich für die fieseste: oberste Schicht der Hornhaut mit Alkohol auflösen, lasern, eine Art Schutz-Kontaktlinse drauf, dann warten, bis die Hornhaut über der Wunde wieder zusammenwächst. Klang am stabilsten. Doch es würde wehtun.

„Bei 95 Prozent aller Fälle gibt es keine Probleme“, sagt Pieper. Der Rest muss noch mal unter den Laser, weil die Sehleistung noch nicht stimmt. Pieper berichtet von Patienten, bei denen er drei Mal operieren musste. Drei Mal das Ganze? „Die größte Gefahr sind Entzündungen“, sagt er. Deshalb gibt’s für die Tage nach der Operation strenge Anweisungen: regelmäßig Antibiotika, Entzündungshemmer und künstliche Tränen tropfen, Augenklappen für die Nacht, und: Bloß nicht hinfassen!

Tag der Operation, 18 Uhr: Ich sitze wieder im 17. Stock in einem der lila Stühle. „Wollen Sie eine Beruhigungstablette?“, fragt mich eine Helferin. „Auf jeden Fall“, sag ich.

Ich ziehe einen weißen Ganzkörperanzug über meine Klamotten, eine grüne OP-Mütze, grüne Schlüpfer über die Schuhe. Dann Brille abnehmen – jetzt fühl ich mich völlig hilflos.

Eine Assistentin streicht braunes Zeug um meine Augen, auf die Stirn: Jodsalbe. Sie führt mich in den Operationsraum, ich erkenne eine graue Liege, ein eigenartiges Gerät. Dahinter steht ein grün angezogener Mann, das wird wohl Pieper sein, seine Assistentin sagt: „Hallo, Frau Rossbauer.“ Ich lege mich auf die Liege, Pieper hält meinen Kopf fest. „Alles okay?“, fragt er. „Ja“, sage ich und merke, dass ich zittere.

Ich bekomme Tropfen ins rechte Auge, Pieper klebt meine Wimpern an den Kopf, legt ein Metallgestell an. Ich kann jetzt nicht mehr blinzeln. Dann kreist Pieper mit einer Art Wattestab blitzschnell in meinem Auge herum, kratzt mit einem Metallstab. Ich spüre nichts. Es fühlt sich trotzdem wahnsinnig an.

Pieper nimmt den Stab weg, ich gucke in das grüne Licht über mir, die Assistentin sagt: „34 Sekunden ab jetzt.“ Der grüne Punkt wird größer und größer, verschwimmt in einem grünen Fleck – dann riecht es nach verbrannter Haut. Der Punkt wird schwarz, Pieper fummelt wieder mit dem Stab in meinem Auge, tropft, legt eine Art Kontaktlinse darauf, Eisengestell raus, ich blinzle – und kann mit dem rechten Auge sehen. „Oh mein Gott“, rufe ich. Eine halbe Stunde später bin ich auf dem Heimweg, meine Brille in der Hand. Werf ich sie nun weg?

Zu Hause beginnen meine Augen zu schmerzen. Ich tropfe stündlich, um Mitternacht nehme ich die erste Schmerztablette: Ich kann die Augen kaum noch öffnen, es fühlt sich an, als ob jemand mit einem glühenden Stab in sie sticht.

Am nächsten Morgen sind die Schmerzmittel alle. Ich rufe in der Praxis an: „Etwas stimmt nicht“, sage ich. Die Frau erklärt, dass meine Schmerzen normal sind. „Aber ich brauche mehr Schmerzmittel“, winsele ich. „Geht nicht“, sagt sie, „mehr dürfen wir Ihnen nicht geben.“ Ich soll mir in der Apotheke Paracetamol besorgen. Ich nehme so viel davon, wie erlaubt ist. Ich muss nur durchhalten, denke ich. Irgendwann wird es besser. Es muss.

Am dritten Tag nach der Operation lassen die Schmerzen nach. Ich kann nun hin und wieder die Augen öffnen. Nach einer Woche traue ich mich wieder aus der Wohnung. Eine Zeit lang bin ich extrem lichtempfindlich, trage ständig Sonnenbrille. Einen Monat lang gibt’s keinen Sport, keine Schminke. All das könnte Infektionen in die Augen bringen, sie zu sehr strapazieren. Meine Augen sind trocken, brennen oft, ich muss täglich Kortison und künstliche Tränen tropfen – über drei Monate. Hundert Prozent sehe ich immer noch nicht, das soll sich erst einstellen, heißt es, wenn die Hornhaut wieder komplett über die Wunde gewachsen ist.

Trotzdem: zwei Wochen nach der Operation stehe ich auf der Straße und gucke zum Mond. Er leuchtet gelb und klar. Es kommt mir vor, als hätte ich ihn noch nie so gestochen scharf gesehen.