Mordvorwurf gegen den Kannibalen von Rotenburg
: Überzogener Strafanspruch

Es war eine ungeheuerliche Tat. Ein Mann schneidet einem anderen Mann das Geschlechtsteil ab, versucht es gemeinsam mit ihm zu verspeisen, später tötet er das Opfer, zerstückelt es, gefriert das Fleisch ein und isst immer wieder davon. Eine Tat, so ekelerregend, dass man kaum darüber reden und schreiben mag.

Nun hat der Bundesgerichtshof im Fall des Kannibalen von Rotenburg das denkbar härteste Urteil gesprochen. Die Richter wollen, dass Armin Meiwes wegen Mordes verurteilt wird. Eine Verurteilung wegen Totschlags, so das Urteil der Vorinstanz, genügte den BGH-Richtern nicht. Und die von der Verteidigung vorgeschlagene Einstufung als Tötung auf Verlangen hatte in Karlsruhe von vornherein keine Chance.

Doch bei alledem darf man eines nicht vergessen. Täter und Opfer hatten die monströse Tat gemeinsam geplant und bis zum tödlichen Ende gemeinsam durchgestanden. Das Opfer war vom Wunsch besessen, dass sein Penis amputiert werden sollte, um dann vermeintlich befriedigt zu sterben. Der Getötete hatte seinen Schlachter – so muss man das wohl nennen – in vollem Bewusstsein der Konsequenzen aufgesucht und zur Vollendung angehalten. Letztlich war der Getötete eben nicht nur Opfer, sondern auch Mittäter seiner eigenen Tötung. Dies macht die Tat sicher noch bizarrer, aber entlastet gleichzeitig auch den Täter. Ja, es sollte eigentlich eine Verurteilung wegen Mordes ausschließen. Meiwes ist eben keine Bestie, die ihre Opfer jagt, erlegt und dann verspeist. Vielmehr ist er ein Mann, der mit seinem bisher einzigen Opfer einen verstörenden Pakt schloss und ihn bis zur letzten Konsequenz aus-lebte. Potenzielle weitere Opfer ließ er ohne weiteres gehen, als er deren mangelnde Entschlossenheit erkannte.

Natürlich kann man nachvollziehen, warum es ein starkes gesellschaftliches Bedürfnis gibt, solche Verhaltensweisen mit den Mitteln des Strafrechts aus dem Feld der akzeptierten Selbstverwirklichung auszugrenzen. Dennoch geht eine Verurteilung zu lebenslänglicher Haft viel zu weit. Hier wird vor allem eine öffentliche Moral verabsolutiert, der Staat überzieht dabei seinen Strafanspruch. CHRISTIAN RATH