ausgehen und rumstehen
: Ausweinen und umziehen: Päpste, Pudel, Theorien

War das wieder eine aufregende Woche! Am Dienstag fing es schon an. Seltsamerweise trafen schon bei Ikea, in der Möbelausstellung, erste Short Messages mit „Weißer Rauch!“ und „Habemus Papam!“ ein. Im Ikea-Restaurant hatten sich vor einem großen Monitor ein paar Neugierige versammelt, aber keiner wusste, wen es getroffen hatte, der neue Papst muss sich nach der Wahl ja traditionell erst mal ausweinen und umziehen, bevor er sich präsentiert.

Also zurück zu den Möbeln. Doch wie sollte man sich da konzentrieren, Entscheidungshilfen zwischen Ivar und Äsnen geben, wenn jede Lautsprecherdurchsage Innehalten und Erschrecken bedeutet? Erst später sah man ein, dass in einem verrückten, aber doch eindeutig schwedisch-protestantischen Möbelhaus niemals aktuelle Papstnews durchgesagt werden.

Die nächsten Tage wurden natürlich vom Medienereignis geprägt, beim normalen Nachmittagskaffee in der Markthalle oder der Roten Harfe lautete die Devise: Ratzinger verteidigen, Evangelen schocken, Atheisten mit Marienerlebnissen brüskieren – ach, wie schön ist es doch, katholisch zu sein !

Am Donnerstag und Freitag flachte das Interesse an theologischen Diskussionen galoppierend ab, und man musste sich wieder ums Ausgehvergnügen kümmern. Im übervollen Barbie Deinhards waren Heidi Mortensen, Miss Le Bomb und Monetekktoni angekündigt, aber leider traten die Künstlerinnen nicht an ihren krachenden Laptops auf, sondern spielten meistens akustische Gitarre, sangen in zu hoher Tonlage Velvet Underground und John-Lennon-Klassiker und hatten selbst Spaß dabei.

Das fremde Ohr litt eher, aber es ließ sich sehr gut in den Sofas hängen, sämtliche weibliche Elektronikperformerprominenz Berlins war da, ein waschechter cremefarbener Pudel sprang herum.

Am Sonntag dann der Theorie-Gig bei Pro Qm in der Alten Schönhauser: Frank Witzel (Schriftsteller) , Thomas Meinecke (Schriftsteller, Musiker, DJ und Radio-DJ) und Klaus Walter, (Radio-DJ), alle zufällig im Jahr 1955 geboren, also heuer 50 Jahre alt, lasen aus ihrem Buch „Plattenspieler“, das aus einem langen transkribierten Gespräch der drei Herren über – was auch sonst – Musik besteht. So nahm man in schöner Sonntagslaune im Hinterraum der beliebten Szenebuchhandlung Platz und freute sich auf einen gelehrig-unterhaltsamen Wochenausgang.

Leider musste man feststellen, dass das Grauen in der vorderen Sitzreihe Platz genommen hatte: Das Grauen hatte die Gestalt eines ausdauernd hässlich knutschendes Pärchens angenommen. Es zelebrierte sämtliche Nähe-Distanz-Nähe-Spiele, glotzte sich gegenseitig blöd in die aufgerissenen Augen, fuhr mit den Finger Gesichtslinien nach und erzeugte in den hinteren Reihen eine La-Ola-Welle der Gänsehaut des Abscheus.

Die Lesung der falschen Fuffziger – falsch im Sinne von nicht generationstypischem Verhalten – verlief dann aber sehr unterhaltsam. Die inszenierte mild keifende Tantenhaftigkeit der drei legte sich angenehm über das systemimmanente Männerspezialistentum. Man begann mit Meinecke’schen Themen und fragte: „Ist der Afro bei Kelis noch ironisch?“, oder definierte den Unterschied zwischen Haarschnitt und Frisur. Dann ging es um die Trompeten auf Sergeant Pepper, um Who, um Stammheim als prägendes Ereignis – und das alles, nicht ohne sich zwischendurch immer wieder des Hornbyismus zu bezichtigen.

„Michael Moore ist George Bush, so wie Wolf Wondratschek Uschi Glas ist“, stelle Meinecke noch zum Abschluss fest.

Dann ging es ins 3, eine neue, etwas seelenlose Bar nahe der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. DJ Meinecke und DJ Walter legten Platten auf, alle fühlten sich wohl, und irgendwie war auch DJ Ratze im Geiste mit dabei. CHRISTIANE RÖSINGER