: „Die Frage ist, ob so viel Fischer gut ist für Fischer“
Der Trierer Medienwissenschaftler Hans-Jürgen Bucher kritisiert Fischers Auftritt im Visa-TV als aufklärungsfreie „Personality-Show“
taz: Wie war Fischer, Herr Bucher?
Hans-Jürgen Bucher: Langatmiger als erwartet. Taktisch – inklusive Schuldbekenntnis.
War die gestrige Live-TV-Übertragung aus dem Visa-Ausschuss nun gut für Fischer? Oder schlecht?
In einer Bundestagssitzung hat Fischer den damaligen Bundeskanzler Kohl als Fleisch gewordenen Buddha bezeichnet. Man hatte anfangs den Eindruck, dass Fischer das als Ideal für sich selbst entdeckt hat: möglichst unbeeindruckt von der Umgebung dasitzen und ungerührt seine Strategie durchziehen.
Was waren die wesentlichen Unterschiede zu seinem Exstaatssekretär Volmer, der letzte Woche auftrat?
Im Unterschied zu Volmer war Fischer natürlich offensiver. Es hat sich Fischer-typische sprachliche Angriffe auf die Ausschussmitglieder der Union geleistet, ihnen Skandalierung, doppelte Moral, Propaganda, Niederträchtigkeit vorgeworfen. Mit der Umbenennung von Volmer- in Fischer-Erlass hat er gezeigt, wer die Deutungshoheit besitzt. Das waren sicher Spielzüge für die Galerie.
Fischer sagte: „Sie stellen die Fragen zu Recht: Was wusste ich, wann?“ Das war nach über 90 Minuten Monolog. Danach gab’s auch kaum Antworten. Gute Dramaturgie?
Natürlich wollte Fischer die Zeit ausnutzen, um seine Sicht der Dinge darzulegen. Aber er hat auch auf Zeit gespielt. Klar waren zwei Entlastungsstrategien erkennbar: Es gibt Kontinuitäten zur Visapraxis unter der Regierung Kohl. Und zweitens: Führende Landespolitiker der CDU und der CSU hätten eine freiere Visaregelung gefordert. Beides sind gute Argumente, um dem Gegner dann eine doppelte Moral vorzuhalten.
Gab es neben der Krokodil-Attacke auf Uhl – „Ich lasse ungern ein Krokodil weinen“ – Szenen, die sich für die oberflächenfixierte Wiederverwertungsmaschine Fernsehen eignen?
Ja, eine, allerdings eine unvorteilhafte für ihn: Fischer auf der Suche nach dem Visa-Erlass. Er findet den Zettel minutenlang nicht. Und muss ihn sich dann reichen lassen.
Wie waren die Nebendarsteller?
Die ersten drei Stunden haben wir die Nebendarsteller ja nur aus den Kameraschwenks mitbekommen. Einziger Geistesblitz war nach Fischers Versprecher – „Hausbesetzung“ statt „Hausbesprechung“ – der Einwurf, dass ihn die Vergangenheit einhole. Aber der Einstieg in die Befragung durch Uhl …
… den Ausschussvorsitzenden …
… war alles andere als professionell: Er hätte eigentlich wissen müssen, dass er Fischer weder durch Suggestivfragen noch durch lehrerhaftes Abfragen etwas Informatives entlocken kann.
Wer kann etwas anfangen mit dem Auftritt? Ein kleiner informierter Teil der Öffentlichkeit? Der Ausschuss?
Als Wahlkampf-Plattform für die NRW-Wahl hat der Auftritt jedenfalls nicht getaugt. Fischer-Anhänger werden mit seinem Auftritt zufrieden sein, und die Gegner werden sich in ihrer Meinung bestätigt sehen, dass er arrogant und anmaßend ist.
Hat Fischer zum Ausschuss gesprochen oder zum Fernsehzuschauer?
Zur Klärung der strittigen Visafragen hat er jedenfalls nicht viel beigetragen. Ihm kam es auf die politische Einordnung an. Das gehört aber nicht in den Ausschuss, sondern ins Bundestagsplenum oder eine entsprechende Fernsehsendung. Insofern war der Auftritt schon von seiner Stoßrichtung mehr ans Fernsehpublikum gerichtet.
Sehen Sie Ihre These von der „Amerikanisierung“ der politischen Prozesse bestätigt?
Versteht man Amerikanisierung im Sinne einer zunehmenden Personalisierung von Politik, dann war das sicher eine Personality-Show namens „Joschka Fischer“. Die entscheidende Frage ist, ob so viel Fischer gut ist für Fischer. Amerikanisierung heißt aber auch, dass alles dem Diktat der Unterhaltung unterworfen wird. Der Unterhaltungswert der Befragung war sicher eher begrenzt. Entscheidend wird sein, wie das Ereignis jetzt in der Nachberichterstattung behandelt wird.
Wie denn?
Seriöse Medien werden sicher kritisieren, dass er wenig zur Aufklärung der Sache beigetragen hat.
Und weniger seriöse Medien?
… könnten konstatieren, dass er wenigstens mal richtig Akten lesen musste.
INTERVIEW: PETER UNFRIED