Anti-Atom spaltet die Bewegung

Nordrhein-Westfalens Anti-Atom-Initiativen wenden sich frustriert von den Grünen ab – und rufen zum Boykott der Landtagswahlen auf: „Der rot-grüne Ausstieg gleicht schwarz-gelber Atompolitik“

VON ANDREAS WYPUTTA

Nordrhein-Westfalens Anti-Atom-Initiativen rufen zum Boykott der Landtagswahl am 22. Mai auf. „Die Leute sollen den Wahlzettel einfach mit einem großen X durchstreichen“, fordert Felix Ruwe von der Bürgerinitiative Kein Atommüll in Ahaus. Zehn Jahre grüner Regierungsbeteiligung in Düsseldorf hätten nichts gebracht als „leere Versprechungen“, sagt der Lehrer, der sich auf kommunaler Ebene bei der Unabhängigen Wählergruppe Ahaus engagiert. „Die Energiepolitik der Landesregierung ist nicht mehr im grünen Bereich. Bei uns herrscht Alarmstufe rot.“

Die Atomkraftgegner kritisieren vor allem den Ausbau der Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau, den im Sand verlaufenen Protest des rot-grünen Kabinetts gegen die Castortransporte nach Ahaus und die immer noch laufende Kernenergie-Versuche im Forschungszentrum Jülich. „Der rot-grüne Atomausstieg gleicht der schwarz-gelben Atompolitik“, so Matthias Eickhoff, Sprecher der Initiative Widerstand gegen Atomanlagen aus Münster. Für einen glaubhaften Ausstieg aus der Atomkraft stehe keine der zur Wahl angetretenen Parteien. Das Ende der Kernenergie könne „nicht in der Wahlkabine, sondern nur auf der Straße“ erreicht werden, sagt Eickhoff. Am Wahltag sollten Atomkraftgegner besser an den Protesten rund um das Brennstoffzwischenlager (BZA) Ahaus, dem Sonntagsspaziergang, teilnehmen.

Schon die häufig durch Nordrhein-Westfalen rollenden Castortransporte aus deutschen Atomkraftwerken in die französische Wiederaufbereitungsanlage La Hague zeigten, dass die Grünen in Bund und Land nicht energisch genug an einem Ausstieg arbeiteten, findet auch Wolfgang Porrmann von der Waltroper Gruppe Menschen gegen Atomanlagen – erst gestern rollte wieder ein Transport mit letzten Brennstäben aus dem Atomkraftwerk Stade mitten durch Münster, das nördliche Ruhrgebiet und dann weiter durch Köln und Bonn. Porrmann findet das „geschmacklos“: In Stade gestartet war der Transport ausgerechnet am 19. Jahrestag der Reaktorkatastrophe im heute ukrainischen Tschernobyl. Auch das Anti-Atom-Forum Ostwestfalen unterstützt deshalb den Protestaufruf: „Wer die Landtagswahlen gewinnt, ist doch ziemlich schnuppe“ – auch Sprecherin Anja Gärtner setzt nicht mehr auf die Grünen.

Die aber weisen die Kritik der Atomkraftgegner weit von sich: „In der Demokratie ist jede nicht abgegebene eine verschenkte Stimme“, so die grüne Landesvorsitzende Britta Haßelmann in einer ersten Stellungnahme zur taz. „Wenn die Initiativen den Atomausstieg rückgängig machen wollen, müssen sie zum Wahlboykott aufrufen“, warnt der atompolitischer Sprecher der Landtagsgrünen, Rüdiger Sagel, vor CDU und FDP. Auch er kritisiere die drohenden Castor-Transporte aus Forschungsreaktoren ins BZA Ahaus wie den Ausbau der Gronauer UAA – Nordrhein-Westfalens sozialdemokratischer Energieminister Axel Horstmann hatte im Februar den Ausbau der Anlage genehmigt. Statt 1.800 sollen dort künftig 4.500 Tonnen spaltbares Material aufbereitet werden, die Kapazität der UAA reicht dann für den Betrieb von 36 großen Atomkraftwerken. „Leider konnten wir uns gegen die SPD nicht durchsetzen“, sagt Sagel dazu.

Vor Ort reagieren die Grünen dagegen gespalten. Während sich der Ortsverband Gronau aus Protest gegen die UAA-Erweiterung in der vergangenen Woche auflöste, verweist Claudia Scholz, Sprecherin von Sagels Kreisverbands Münster, auf die Koalitionsraison und „laufende Verträge“. Zwar habe sie „grundsätzlich Verständnis“ für die Kritik, doch sei die Anti-Atompolitik im Parteienspektrum „ohne Alternative“. Den Initiativen reicht das nicht: „Wer sechseinhalbjahre in der Bundes- und zehn Jahre in der Landesregierung sitzt“, sagt Atomkraftgegner Eickhoff, „der trägt Verantwortung“.

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