Flüchtlinge in der Vorhölle

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Dieter Wiefelspütz kritisiert die Flüchtlingspolitik in Nordrhein-Westfalen. „Das Ziel des Zuwanderungsgesetzes wird durch die Praxis konterkariert“

VON NATALIE WIESMANN

Das Land Nordrhein-Westfalen wendet das Zuwanderungsgesetz härter an, als es der Bund gewollt hat. Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Verhandlungsführer seiner Partei bei der Ausarbeitung des Gesetzes, ist „stinkesauer“ auf NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD). „Ich fühle mich persönlich getäuscht“, sagte er bei einem vom Flüchtlingsrat und den kommunalen Migrantenvertretungen in NRW initiierten Treffen am Mittwoch in Düsseldorf.

Stein des Anstoßes ist die so genannte Kettenduldung. Abgelehnte Asylbewerber, die wegen der Situation in ihrem Heimatland nicht ausgewiesen werden konnten, bekamen bisher keinen Aufenthaltstitel, ihre Duldung wurde meist von Monat zu Monat verlängert. Bei den Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz habe über alle politischen Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit darüber bestanden, dass dieser Zustand nicht mehr hinnehmbar sei, so Wiefelspütz. Für diejenigen, die „unverschuldet an ihrer Ausreise gehindert sind“, habe das Gesetz ein Bleiberecht vorgesehen. Doch die Praxis sieht anders aus. „Die Tendenz geht gegen Null“, schimpfte Wiefelspütz. Der SPD-Mann hatte einst „seine Krawatte darauf verwettet“, dass das Gesetz 50 Prozent der Geduldeten zu einem sicheren Aufenthaltstitel verhelfen würde.

Dass in NRW kaum ein Geduldeter ein Bleiberecht erhält, ist einem Erlass des Landesinnenministers von Ende Februar zu verdanken. Keinen sicheren Aufenthaltsstatus sollen demnach Flüchtlinge bekommen, bei denen eine freiwillige Ausreise möglich ist – unabhängig von der Situation im Heimatland. „Nur wer schwer krank ist, hat eine Chance auf ein Bleiberecht“, sagt Andrea Genten vom Flüchtlingsrat NRW. Die Landesregierung berufe sich gerne auf hunderte von Roma aus dem Kosovo, die in den letzten Jahren freiwillig zurück gegangen seien - auf dieser Grundlage würde allen anderen Flüchtlingen aus der Region ein Bleiberecht verweigert. „Diese Politik ist an Zynismus kaum zu überbieten: Freiwillig kann man überall hin – auch in die Hölle“, sagt Wiefelspütz.

Dirk Beinspach vom Innenministerium weist die Kritik von Wiefelspütz zurück. Der Erlass sei notwendig gewesen, um die Entscheidungspraxis der Ausländerbehörden in NRW anzugleichen, sagte der Ministerialrat. Dem Verweis auf das Land Rheinland-Pfalz, das großzügiger mit den Flüchtlingen umgehe, hielt er entgegen: „Nicht NRW ist isoliert, sondern Rheinland-Pfalz geht einen Sonderweg.“

Wiefelspütz kündigte an, dass er in der kommenden Woche ein Gespräch mit Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) führen werde, dessen vorläufige Anwendungshinweise er für die Fehlentwicklung in den meisten Ländern verantwortlich macht. „Unterschiedliche Interpretationen sind zwar möglich, aber das Ergebnis Null bei der Abschaffung der Kettenduldung ist durch nichts zu rechtfertigen.“

Es sei auch nicht Ziel des Gesetzes gewesen, dass geduldeten Flüchtlingen massenhaft die Arbeitserlaubnis entzogen werde – seit 2005 walten darüber nicht mehr die Arbeitsagenturen, sondern die Ausländerbehörden. „Anscheinend passiert dies flächendeckend“, stellt Dieter Wiefelspütz fest. Er bezeichnete die Entwicklung als „ein Selbsttor ersten Grades“. Denn die Betroffenen, die sich und ihre Familie bisher selbst ernährt haben, sind jetzt auf staatliche Unterstützung angewiesen. In NRW sind solche Fälle unter anderem aus der Stadt Ratingen und den Kreisen Kleve und Viersen bekannt.