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Archiv-Artikel

Schule soll ins Zentrum rücken

Ganztagsschulen sind Bremens ganzer Stolz. Viele Lehranstalten werkeln eifrig an neuen Konzepten für Ganztagsbetreuung der Kinder. Manche Schulen haben schon einen fast kompletten Betrieb aufgenommen, andere stehen noch vor schweren Hindernissen. Ein Werkstattbericht

„Nicht alle machen das gerne mit, weil sie länger an der Schule bleiben müssen.“Der Wettbewerb der Bremer Schulen um die Kinder hat längst begonnen

aus Bremen Kay Müller

„Geh’ nicht mit dem Apfel an die Tischtennisplatte“, ruft Beate Ravens Tobias zu. Der Zwölfjährige kommt aus der Mensa der Schule an der Bergiusstraße und hat Zeit bis er am Nachmittag in der Fußball-AG aufläuft. „Ich habe mich daran gewöhnt, dass ich bis 16 Uhr in der Schule bleibe“, sagt Tobias, auch wenn das Nachmittagsangebot für ihn „immer noch ein bisschen Schule ist“.

Die Mittagspause verbringt er unter Aufsicht von Beate Ravens. Die ist eigentlich Architektin, kommt aber jeden Tag für zwei Stunden in die Aula der Schule und betreut die rund 30 Jugendlichen, die nach dem Essen bleiben, um am Nachmittagsangebot teilzunehmen. Einen Nachteil durch ihre fehlende pädagogische Ausbildung sieht sie nicht.

Rund 60 Schüler essen jeden Tag in der Mensa, nachmittags kommen 200 in die AGs – von 450 insgesamt. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagt Schulleiter Rolf Herbst, der seit Jahren versucht, ein Ganztagskonzept zu erarbeiten, zu verbessern und durchzusetzen. Das ist nicht immer leicht. Denn Herbst und sein Stellvertreter Martin Korol haben ehrgeizige Pläne. „Wir wollen, dass die Schule irgendwann als Zentrum im Leben der jungen Menschen steht und nicht als Belastung empfunden wird“, sagt Korol. „Wenn eine Stunde ausfällt, darf das nicht als gewonnene Freizeit gesehen, sondern sollte als Verlust empfunden werden“, meint der Lehrer. Dafür wirbt er und verlangt die Zustimmung der Eltern und Schüler zum ausgehandelten Konzept. Und Herbst ergänzt: „Wer sich darauf nicht einlässt, der ist hier falsch.“

Dazu haben die beiden Schulleiter mit einer Reihe von Helfern die Struktur der Schule umgekrempelt. Sie haben die Mensa eingerichtet, zwei Küchenkräfte, eine Sozialpädagogin und die Honorarkräfte angeworben, die Arbeitsgruppen leiten. „Wir haben auch einen 80-Jährigen, der mit den Schülern eine Schach-AG macht“, erzählt der Rektor. Von den Externen könne man Einsatz erwarten, die Motivation sei hoch. „Der Lehrer ist zwar dafür da, die Schüler zu unterrichten. Aber es muss auch möglich sein, dass Externe die Schüler betreuen“, sagt Herbst. „Wir schauen natürlich, dass derjenige ordentlich mit den Schülern umgeht.“ Einige Arbeitsgemeinschaften will der Rektor so schnell wie möglich verbindlich machen und ins Vormittagsprogramm aufnehmen. Dann soll es an seiner Schule AGs geben, die jeder Schüler durchläuft, etwa eine Gruppe zur Gestaltung des Schulgartens, ein Anti-Gewalt-Training oder der Erwerb eines Computer-Führerscheins. Dazu soll mehr am Nachmittag unterrichtet werden, denn „Kinder lernen den ganzen Tag“, meint Rektor Herbst. Das hat Konsequenzen für den Arbeitsalltag der Lehrer. „Nicht alle machen das gerne, denn sie müssen länger in der Schule bleiben“, erklärt Herbst, den das eine Menge Überzeugungsarbeit gekostet hat. Jetzt müsse ein Lehrer seine Freistunden in der Schule nutzen, für Vorbereitung, Korrektur von Klassenarbeiten und Organisation. Wichtig seien mehr Lehrerarbeitsplätze in der Schule.

Einer der wichtigsten Pfeiler des Konzeptes Ganztagsschule an der Bergiusstraße ist jedoch der Förderkreis, der zugleich der Trägerverein der Schule ist. Dort engagieren sich Eltern, die gemeinsam mit dem Kollegium und der Schulleitung „die Passung“ des Konzeptes überprüfen, wie Herbst es nennt. „Allein ginge das gar nicht, das ist schon jetzt ein unglaublicher Verwaltungsaufwand, den Schulleitung und Kollegen nicht allein leisten könnten“, meint Herbst, der seine Konzepte von einer Mehrheit bei Schülern, Eltern und Lehrern getragen sieht.

Das wollen auch Jutta Fernholz und Dankwart Reichelt, Schulleiter der Gesamtschule Mitte. „Ich kenne den Förderkreis der Schule an der Bergiusstraße“, sagt Reichelt, der allerdings für seine Schule eine derartige Konstruktion ausschließt. „Das würde die Eltern überfordern, schon jetzt haben wir Arbeit bis zum Stehkragen.“ Dabei empfinden sich Fernholz und Reichelt als Vorreiter der Ganztagsschulen, obwohl sie in der Entwicklung eines Konzeptes deutlich hinter der Schule an der Bergiusstraße zurückliegen. Seit 1989 arbeitet Reichelt daran, ein Ganztags-Konzept über die Woche auszudehnen. Doch bislang reichte es nur für zwei Tage, an denen seit Anfang der 90er Jahre nachmittags in der Schule Programm ist. „Uns fehlten Geld, Zeit und Raum“, fasst Jutta Fernholz ihre Probleme zusammen. Dabei hat der Bund von 2003 bis Ende 2005 16,3 Millionen Euro bereit gestellt, aus Landesmitteln kamen noch einmal 3,5 Millionen Bau- und Investitionsmittel hinzu. Dazu investiert das Land in zusätzliches Personal.

Häufig würde das Geld an Schulen in sozialen Brennpunkten vergeben, genauere Kriterien wann und warum eine Schule vom Bildungsressort gefördert werde, vermisst Jutta Fernholz. Mehrfach seien Anträge ihrer Schule nicht berücksichtigt worden, bis jetzt über 69.000 Euro für zusätzliches Personal im kommenden Schuljahr bewilligt wurden, dazu noch 820.000 Euro für Baumaßnahmen, etwa den Bau einer Mensa. Das ist aber auch eines der Probleme der Gesamtschulleitung. Denn für die Mensa, die die Schule an der Bergiusstraße in weitgehend ungenutzten Räumen unterbringen konnte, fehlt in der Gesamtschule der Platz. Jetzt diskutieren die Pädagogen einen Neubau. Ob und wann der kommt, sei unklar.

Bisher bekommen die Kinder ihr Mittagessen geliefert, gegessen wird in den Klassenräumen. „Eine Ganztagsschule ohne Mensa ist unmöglich“, meint Dankwart Reichelt. Auch weitere Lehrerarbeitsplätze und Ruheräume für die Schüler seien notwendig, so der stellvertretende Schulleiter, der auch an inhaltlichen Konzepten strickt. Bisher sei das Nachmittagsangebot auf alle Klassen zugeschnitten, die Kooperation mit Menschen und Institutionen im Stadtteil funktioniere gut. Hier gebe es Potenzial für weitere Angebote, vor allem weil die Schule jetzt Geld zur Verfügung habe. Dennoch wird die Gesamtschule Mitte ab dem nächsten Schuljahr zunächst nur einen Probebetrieb aufnehmen. Die Jahrgangsstufen 5 bis 7 werden an drei Nachmittagen betreut. Denn der organisatorische Aufwand sei hoch und koste Zeit.

Klar ist, dass nicht alle Schulen zu Ganztagsschulen werden. Der Wettbewerb um Schüler habe begonnen, versichern alle Schulleiter. Die Schule, die gute Konzepte und eine hohe Zufriedenheit unter den Schülern verzeichnen könne, werde den meisten Zulauf bekommen, und dadurch mehr Gelder bekommen – auch wenn die Förderung der Schulen in sozialen Brennpunkten weiter gehe.

Die Rolle der Schule wird sich ändern, denn die Schulleiter werden vermutlich immer mehr zu Managern werden, die den Hauptteil ihrer Arbeitszeit mit Verwaltungsarbeit, dem Beantragen von Fördergeldern und Personalorganisation zubringen werden.

Die Schüler an der Gesamtschule Mitte haben nichts gegen das Ganztagskonzept. Bei den erfahreneren Ganztagsschülern schwindet der Unterschied zwischen Unterricht und Freizeitangebot. Nicolas ist Klassensprecher in der 8. Klasse und sagt: „Vielen Jüngeren wird es sicher schwer fallen, am Nachmittag selbstständiger zu arbeiten, aber machbar ist das. Ganztagsschule? Das ist für uns wirklich kein Problem.“